Essen Hauptbahnhof. Vor ein paar Jahren habe ich hier in Essen für eine Weile gearbeitet und bin mit dem Zug gependelt, deswegen kenne ich diesen Ort recht gut. Dieses Mal bin ich hergekommen, um direkt wieder nach Hause zu laufen. Von hier aus sind es etwa acht Kilometer bis auf den Ruhrtalradweg, 50 bis nach Hause. Deswegen werde ich hier starten, im Herzen von Essen. Nachdem ich meinen Laufrucksack mit den vier Trinkflaschen und der Marschverpflegung angelegt habe, fällt mein Blick auf die Karte auf meinem Smartphone. die ersten zwei bis drei Kilometer führen mich direkt nach Süden, mitten durch die Kneipen- und Restaurantmeile Rüttenscheids, bis ich auf den Radweg Annental stoße. Von hier aus führt mich diese alte Bahntrasse bis hinunter zum Fluss, wo ich auf altbekannten ‘Tortour’-Wegen dem Ruhrtalradweg folgen werde.
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Auf dem Straßenniveau starte ich meine Uhr und folge der Huyssenallee auf die Rüttenscheider Straße. Aufgrund des schönen und warmen Wetters sitzen viele in den Straßencafés und Restaurants oder flanieren die Straße entlang. Ich selbst passe hier so gut her, wie ein Fisch an Land, wie nicht zuletzt die Blicke der Leute verraten. Zwischenzeitlich bin ich geneigt, an mir herabzusehen, ob ich vielleicht die Hose vergessen habe. Habe ich aber nicht, ich bin schlicht eine ungewöhnliche Erscheinung. Wenig später erlöst mich die vor mir auftauchende Rampe hinunter zum Radweg. Hier, auf der Trasse, bin ich schon viel weniger ungewöhnlich zwischen all den Läufern und Radfahrern. Die ersten Läufer, die ich überhole, schauen noch etwas irritiert, doch später, auf der Trasse etwas außerhalb des Stadtzentrums, wird wieder gewohnt freundlich gegrüßt. Die Strecke ist hier herrlich Abschüssig, so dass ich zügig auf den Ruhrtalradweg hinuntergelange. An der Abzweigung in Richtung Baldeneysee beginnt vertrautes Terrain. An Pfingsten waren Frank und ich hier, aus meiner heutigen Perspektive rechts, abgebogen und waren langsam, aber sicher in Richtung des Verpflegungspunktes “nur noch Marathon” gelaufen, hatten Diskutiert, wie weit es bis dahin noch sein würde und versucht, so viel wie möglich zu laufen.
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Wenig später zieht das “Bar Celona” vorbei, einer der zahlreichen Eigenverpflegungs-VP’e der Tortour, und schließlich überquere ich in Steele-Ost die Ruhr über die Straßenbrücke in Richtung Dahlhausen und Hattingen. Von hier aus bin ich die Strecke bereits mehrere Male gelaufen, ungewohnt ist nur, dass ich nun bereits achteinhalb Kilometer mehr auf der Uhr habe. Ich halte den Schnitt knapp über 6 Minuten, um noch ein paar Körner für die Kilometer jenseits der 40 zu sparen. Vorletzte Woche hatte ich zwischen 30 und 40 doch ziemlich kämpfen müssen. Das will ich gerne weiter nach hinten schieben, denn zwanzig Kilometer zu leiden liegt nicht in meinem Interesse. Bis Dahlhausen laufe ich in goldenem Abendlicht. Das Wetter st perfekt und selbst für den späten Abend sind noch recht warme 18 Grad angesagt. Während ich die gewundenen Ruhrschleifen in Richtung Hattingen durchquere, versinkt die Sonne hinter die westlichen Höhen des Ruhrtals und es kühlt leicht ab.
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Als sich zwischen den beiden Hattinger Brücken bei Winz die weite Ebene öffnet und den Blick in Richtung Süden freigibt, fallen mir bedrohlich dunkle Wolken auf. Auch hat der Wind aufgefrischt. Auf der Hattinger Brücke wage ich einen weiteren Rundumblick. Hinter mir ziehen auch Wolken auf, und diese sehen nicht unbedingt nach Regen aus; aber wie steht der Wind? Erst nach einer Weile sehe ich, dass er aus Nordosten kommt. Das könnte passen. “Zieht ins nächste Tal, die Leute in Gevelsberg freuen sich über einen Wolkenbruch!” denke ich bei mir. Die Wettervorhersage hat trockenes Wetter versrpochen, weswegen ich die Regenjacke gegen eine leichtere Windjacke getauscht habe. Ich hoffe, dass das kein Fehler war, während ich mir schwöre, zukünftig die Regenjacke auf jede lange Tour mitzunehmen. Während ich weiter in Richtung Kemnade laufe, entferne ich mich für eine ganze Weile vom Fluss.
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Erst hinter der Koster Brücke habe ich wieder richtig freien Blick auf den Himmel. Die dunklen Wolken scheinen jetzt direkt vor mir zu sein. Erneut bereue ich zutiefst, ohne Regenschutz zu laufen. Während ich von der Brockhauser Straße auf den Leinpfad zurückkehre, kommen mir einige Radfahrer und Spaziergänger entgegen. Es kommt mir vor, als hätten sie es eilig, wegzukommen, die übliche Hektik vor einem Wetterumschwung. Im Kopf gehe ich meine Optionen durch: die Brücken, die auf dem Weg als Unterstände geeignet wären. Wie lange würde ich warten müssen? Würde ich gar abbrechen und bei meiner Freundin in Heven bleiben müssen? Ich will aber die 50 schaffen! Auf der Wiese unterhalb der Burg Blankenstein grasen zwei Pferde. Sie sind seelenruhig, was auch mich beruhigt. Ich schiebe die Gedanken zur Seite und konzentriere mich auf das Laufen. Auf der anderen Seite des Weges ist der Bauer mit der Heuernte beschäftigt. In der nun fast vollständigen Dunkelheit wirkt das Erntefahrzeug mit seinen Scheinwerfern, wie ein großes Tier, das sich über die Wiese wälzt. Ich mache kurz Halt, drehe den Mützenschirm nach hinten und lege meine Stirnlampe an. Wenig später verläuft der Radweg wieder ganz nah am Fluss. Es ist jetzt nicht mehr weit bis zum Kemnader Stausee. Ich mag das Laufen im Schein der Lampe. Es ist ganz still geworden. Auf den zwei Kilometern bis zum See sehe ich nur noch zwei Menschen, während ich die 30-Kilometer-Marke überquere. Mir geht es ziemlich gut, die Beine fühlen sich gut an und das Tempo lässt sich noch gut halten. Lediglich die sanften Steigungen auf den Radweg um den See und im Verlauf des Nordufers quittieren meine Oberschenkel deutlich schmerzend.
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Zwischen dem Hafen und dem Freizeitbad sind zahlreiche jugendliche Pokemon-Go-Spieler unterwegs. Ich habe meine vorletzte Trinkflasche geleert und langsam hängt mir das Isozeug zum Hals heraus. Das Verlangen nach kalter Cola wird in mir laut. Steht im Foyer des Freizeitbades nicht ein Automat? Ich laufe hinauf und werde enttäuscht: nur Schokoriegel und Eis. Das zerrt an der Moral. Während ich eines meiner mitgebrachten Pickups esse, gönne ich mir eine Gehpause bis auf den Radweg. Die nächste Möglichkeit für eine Cola tut sich also erst an der Tankstelle an der Sprockhöveler Straße auf; allerdings würde die Strecke durch den Abstecher zur Tankstelle und zurück auf die Laufstrecke um mehrere hundert Meter verlängert. Ich vertage den Konflikt zwischen Coladurst und Ankommenwollen auf später. Auf der Schleife in Richtung Golfplatz ist es recht windig und nach der Gehpause friert es mich nun doch ein wenig. Auch nach einigen Minuten des Laufens bleibt es weiter unangenehm kalt, so dass ich schließlich zusätzlich mein Thermoshirt anziehe. Das Anlaufen wird jetzt schon etwas mühsam und ich quäle mich ein wenig. “Warum eigentlich?”, denke ich mir, während ich Kilometer 38 abschließe und der Schleife entlang der Herbeder Straße folge, “Ausdauermäßig geht es doch eigentlich sehr gut, und die Beine tun eigentlich auch nicht weh. Du schwächelst doch nur, weil Du keine Cola bekommen hast!” Aber natürlich sind die Beine mittlerweile nicht mehr ganz frisch – dennoch schaffe ich es wieder, einen Schnitt knapp über sechs zu laufen. Nichtsdestotrotz zieht sich das Stück bis zum Kreisverkehr, wo ich dann den kleinen Schlenker zur Tankstelle einschlagen werde – der Coladurst hat also gewonnen. Vor der Tankstelle sind die 40 voll. Nur noch rund zehn also. Die Tankstelle verkauft allerdings wegen Umbauarbeiten in dieser Nacht nur Treibstoff, eine große Enttäuschung. Zum Glück finde ich direkt gegenüber eine geöffnete Pizzeria und kaufe zwei Liter Cola. Den Weg zurück bis zur Strecke gehe ich trinkend, dann laufe ich mit den verbleibenden 1,5 Litern weiter, über die Brücke bis auf die Nachtigallstraße und bis zum Anfang des nächsten Trassenabschnitts, der Bommern umrundet und bis nach Wengern führt.
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Die Dunkelheit macht den unbeleuchteten und elendig langen Verlauf der Trasse fast erträglich. Die nächsten drei bis fünf Meter fokussierend, schaffe ich noch eine 6:15-20. Es ist ein wenig anstrengender, zu laufen, aber eigentlich habe ich schon wesentlich schlimmer gelitten. Die kurze und steile Steigung hinauf auf die Wittener Straße gehe ich recht zügig, aber fluchend: “Wer hat das hierhingemacht?!” Oben angekommen, zwinge ich mich, sehr schnell wieder in den Laufschritt zu verfallen. Nach einigen hundert Metern führt der Weg zurück in die Ruhrauen. Jetzt sind es nur noch vier bis fünf Kilometer. Den ersten halben Liter Cola habe ich bis zum Ende der Trasse bereits geleert; das kalte Getränk und das Koffein haben mich bei Laune gehalten und ich trinke weiter fröhlich, wissend, dass mein Vorrat bis ins Ziel ausreichend wird.
Den Höhenunterschied hinauf auf die neue Ruhrbrücke überwinde ich mit einer letzten Gehpause (und einem weiteren, großen Schluck Cola). Ich überquere den Fluss leicht japsend, laufe auf der anderen Seite unter der Brücke her, folge dem Verlauf der Kaiserstraße an der Tankstelle vorbei bis zum Lidl und biege nun auf die Zielgerade ein. Das Ausfahrtstor des Park&Ride-Parkhauses, wo mein Auto auf mich wartet, ist die perfekte Ziellinie. Es ist geschafft! Ein wirklich schöner und interessanter Lauf! Ich bin dennoch froh, jetzt angekommen zu sein. Für ein paar Minuten setze ich mich auf die Kofferraumkante, trinke meine Cola aus und genieße den Moment.
Die 50 Kilometer sind kein wirkliches Neuland für mich. Bereits im August bin ich mit Basti den RZR-Ultra gelaufen, und auch der Tortour Vorbereitungslauf und die Tortour selbst haben mich bereits mit weit größeren Distanzen konfrontiert. Allerdings bin ich damals bei weitem nicht in meinem normalen Langstrecken-Tempo von möglcihst 6:00/KM unterwegs gewesen. Zudem habe ich bereits am Donnerstag spontan einen weiteren langen Lauf über 43km mit Basti absolviert. Dass meine Beine sich innerhalb der paar Tage bereits wieder davon erholt hatten, zeigt, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes bereits Fortschritte gemacht habe. Diese erste Belastungswoche, in der ich 110 Kilometer in nur drei Aktivitäten absolviert habe, ist eine große Bestätigung. Ich habe die körperliche und geistige Stärke, viele Stunden zu laufen. Da ich grundsätzlich auch ganz gerne alleine Laufe, fühle ich mich bei Dunkelheit, die dieses Alleinsein noch bestärkt, recht wohl (das einzige Problem mit der Dunkelheit außerhalb des Sommers dürfte die Kälte darstellen).
Daumen hoch!
Danke, mein lieber, ein guter erster Schritt 🙂
Der erte Schritt ist nicht der Unwichtigste 😉
Das sehe ich auch so 🙂