Mein erster Ultra, erster Lauf über 50km, der erste auch über 55km: während der gestrige TtdR-Trainingslauf für die meisten der fast 40 Teilnehmer mit 58km wirklich nur eine Trainingsdistanz darstellte, war er für mich die erste Bewährungsprobe auf Ultraterrain.
Bereits seit längerer Zeit empfinde ich eine gewisse Faszination für die Tortour de Ruhr, jenen Lauf einer Gruppe bekloppter, die, an der Ruhrquelle in Winterberg beginnend, dem 230km messenden Flussverlauf bis zu seiner Mündung in den Rhein mitten in Duisburg laufend und leidend folgen. Obwohl ein reiner Straßenlauf, habe ich mir vorgenommen, irgendwann einmal teilzunehmen. Da ich mir aber selbst den “Bambinilauf” mit “nur” 100km Streckenlänge bis Pfingsten dieses Jahres auch noch nicht zutraue, habe ich mich entschlossen, zunächst als Crewmitglied für einen anderen Läufer zu fungieren, um einige Erfahrungen mit der Strecke zu sammeln.
Als dann aber bald die Initiative für einen Trainingslauf zwischen Bochum-Dahlhausen und dem legendären Zielpunkt der Tortour, dem Rheinorange, entstand und auch klar war, dass “mein” Läufer Frank Schacht teilnehmen würde, freundete ich mich mit der Idee an, meine Maximaldistanz um den großen Sprung von 18 Kilometern zu erweitern. Mit Frank war schnell alles in Sachen Logistik geklärt und so brach ich nach einer unruhigen Nacht im Dienst und lediglich fünf Stunden Schlaf am Sonntagmorgen Richtung Duisburg auf, wo wir eines unserer Autos für die Rückreise deponierten. Wir erreichten den Bahnhof Dahlhausen bereits eine Dreiviertelstunde vor dem vereinbarten Start, und so waren wir froh, dass sich direkt am Bahnhofsvorplatz eine Bäckerei mit Erlebnisgastronomie befand: das Wetter war zwar traumhaft wolkenlos und sonnig, aber kalt; der Wind schnitt gnadenlos auch dem begnadetsten Läufer durch die noch so warmen Gedanken, so dass wir heilfroh über den warmen Rückzugsort, Backwaren, Kaffee und Kakao sowie einen letzten Toilettengang waren.
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Als wir uns dann doch ein Herz fassten und in die Kälte traten, hatte sich bereits eine kleine Gruppe in Beklopptenuniform eingefunden (besonders bei einstelligen Temperaturen am eindeutig zu dünnen Stoff und kurzen Hosen zu erkennen), die mit der Zeit mehr und mehr anwuchs, bis die Sollzahl von 24 frierenden, aber hochmotivierten Läufern und zwei Radbegleitern erreicht war.
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Vom Bahnhof aus ging es zunächst ein kleines Stück flussaufwärts und schließlich auf die andere Fluss-Seite. Bereits hier erwartete uns unsere erste Herausforderung, denn der Radweg war zu großen Teilen überschwemmt, so dass wir mit unseren Straßenschuhen auf die durchgeweichte Böschung auszuweichen gezwungen waren. Der eine oder andere fügte seiner Kleidung bereits hier unfreiwillig einen braunen Farbton hinzu.
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Mit Blick auf den ersten Essener Stadtteil mit dem wundervollen Namen “Horst” traten wir in die erste Ruhrschleife ein und erreichten nach etwas mehr als sieben Kilometern nach einem erneuten Wechsel der Ruhrseite den ersten Einstiegspunkt in Essen-Steele. Von hier aus ging es in die Südschleife an Essen-Überruhr vorbei und nach zweieinhalb Kilometern Straße wieder auf das linke Ufer. Hier, in Essen-Kupferdreh, stießen weitere Läufer zu uns. Kurzfristig stahl der Pulk der am Eisenbahner-Biergarten ankommenden Läufer gar den zahlreichen Motorradfahrern die Show, unsere Radfahrer parkten ihre Boliden selbstbewusst in der Reihe der Poserbikes.
Es gab hier nach einer kurzen Pause kein Zeichen zum Loslaufen, so dass das Feld etwas auseinanderbröselte und Frank und ich eine Weile zu zweit weiterliefen und ins Gespräch vertieft waren. Langsam waren wir ins Schwitzen gekommen und ich hatte mich hinreißen lassen, Buff und Mütze loszuwerden und sogar die Jacke ein wenig zu öffnen – beim Passieren des Baldeneysees liefen wir allerdings wieder größtenteils im Schatten und der eisige Wind zwang uns, die Schotten wieder dicht zu machen.
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Am nächsten Wegpunkt in Essen Werden – mit nun 24 Kilometern auf der Uhr – kamen wieder Läufer dazu oder stiegen aus – nach ein paar Minuten Pause ging es weiter: bis zum Kettwiger Ruhrbogen sahen wir uns erneut mit einem sehr schlammigen und nassen Abschnitt konfrontiert, der das Gros der Läufer links oder rechts der Strecke ins Gebüsch verschlug. Mit dem erneuten Wechsel der Ruhrseite bei KM 30 nahmen wir deutlichen Abstand von “unserem Fluss” und liefen eine gefühlte Ewigkeit durch die Felder, vorbei an einem Fußballspiel (einem von geschätzten 235, die sich im Streckenverlauf aufreihten), auf die Mintarder Ruhrtalbrücke zu, unter der sich unser mittlerweile von Vielen voller Sehnsucht erwarteter Verpflegungspunkt erwartete – und diese Verdammte Brücke wollte einfach nicht näherkommen! In meinen Füßen hatte während der letzten Kilometer etwas das Wort ergriffen, das mich mehr und mehr an Schmerz erinnerte, und so sehnte auch ich mich nach einer größeren Pause.
Irgendwann erschienen vor uns dann doch jene zwei grünen Pavillondächer, die schnell zu einem amtlichen Verpflegungspunkt anwuchsen und uns zunächst mit offenem, aber auch tropfendem Mund vor den angebotenen Speisen stehen ließ: Es gab Obst und Gemüse, Brote, Kartoffelchips, gesalzene und ungesalzene Kartoffeln, Kekse jedweder Art, Salzstangen, Cola und Wasser, Hefeweizen, und: BRATWURST! Leider hatte sich die Sonne mittlerweile hinter die angekündigte Wolkendecke zurückgezogen, so dass es bannich kalt war; anderfalls wäre der eine oder andere sicher nur unter Protest weitergelaufen…
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Frisch gestärkt und teilweise wohl auch leicht alkoholisiert, trieb das Feld weit auseinander, und Frank und ich liefen eine ganze Weile gemütlich und selig, von der Verpflegung im wahrsten Sinne des Wortes erfüllt, weiter und quatschten über dies und das. In einer meiner Flaschen schwappte der halbe Liter Cola umher, den mir einfüllen zu lassen ich mir selbst schon jetzt hoch anrechnete. Nach einem recht öden Abschnitt durch die Ruhrauen liefen wir nach Mülheim ein, wechselten bei Kilometer 43 wieder auf die rechte Ruhrseite, durchquerten – jetzt auf deutlich urbanerer Strecke – Oberhausen und schlugen die letzten Kilometer in Richtung Duisburg und Rheinorange ein. Der Schmerz in meinen Füßen hatte seine Position inzwischen sehr deutlich gemacht, so dass wir durch einige Gehpausen weit abgeschlagen von den übrigen Läufern nur noch zu zweit und sehr langsam vorankamen. Anscheinend hatten meine Schuhe durch das ungewohnt langsame Tempo und die andere Art zu laufen meine Überpronation nicht ausreichend korrigieren können, so dass meine Sprungelenke auf den Innenseiten bei jedem Schritt höllisch zu schmerzen begonnen hatten. Mit der Zeit fand ich einen Weg, das einigermaßen auszugleichen, aber dennoch wurden die letzten sieben bis acht Kilometer zu der Tortur, die ich schon deutlich früher erwartet hätte. Immerhin waren wir weit über meine bisherige Maximaldistanz hinausgegangen und ich befand mich an dem Punkt, an dem man mehr mit dem Kopf, als dem Körper läuft. Glücklicherweise fand Frank einen guten Mix aus Ablenkung und gutem Zureden, so dass wir nach etwas über sieben Stunden schließlich in der Ferne das Rheinorange auftauchen sahen, an dessen Fuß sich das restliche Läuferfeld bereits versammelt hatte. Nicht nur der Monolith selbst, sondern auch der Himmel empfing uns mit einem kräftigen Orange, als wüsste er um die Strapazen, die hinter uns lagen und wollte uns besonders belohnen. Die Anderen kamen uns bereits entgegen, als wir die letzten hundert Meter bis zum ersehnten Ziel hinter uns brachten und mein erster Ultra nach sieben Stunden und zwanzig Minuten sowie 58 Kilometern hinter mir lag.
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Jetzt galt es nur noch, die 1,2 Kilometer bis zum Auto zu gehen – durch den schneidenden Wind und auf Füßen, die man sich am liebsten abhacken würde. Am Auto angekommen, kam langsam Stolz über die eigene Leistung auf und auch jenes Glücksgefühl, das sich immer unmittelbar nach sehr langen und strapaziösen Läufen einstellt: die Freude, jetzt nicht mehr laufen zu müssen. Hätte ich auch kaum können, denn ich war mit der puren Existenz vollkommen ausgelastet.
Nach einer langen, zum Glück beheizten Fahrt und einem sehr schmerzhaften Gang vom Auto bis in die Wohnung duschte ich eine gefühlte halbe Stunde, umgab mich auf der Couch mit allem, was mir in der Küche an Essen vor die Augen gekommen war und gönnte meinen Beinen ihre verdiente Ruhe.
Insgesamt bin ich sehr stolz und zufrieden, denn abgesehen von den Schmerzen im Fuß, die aber auf eine recht gut zu lösende Problematik zurückzuführen sind, hat mein Körper den Lauf sehr gut vertragen. Dass ich am Ende leiden würde, war mir von Anfang an klar; ich war sehr froh, mit Frank einen erfahrenen Ultraläufer und “Tortouristen” an meiner Seite zu haben, der mich auf den letzten Kilometern sozusagen in seinem Rucksack ins Ziel getragen hat. Ich hoffe, ich kann ihm an Pfingsten etwas davon zurückgeben.
Insgesamt war der Lauf wirklich schön. Ich habe eine Reihe herrlich bekloppter Leute kennenlernen dürfen, vor denen ich nach der gestrigen Erfahrung noch einmal mehr den Hut ziehe, denn 100, 160 oder gar 230km zu laufen, ist eine ganz andere Hausnummer. Ich freue mich sehr auf die Tortour und darauf, Frank dabei zu helfen, sein großes Ziel, das Rheinorange, zu erreichen.
2 Antworten auf „Der Tortour-Trainingslauf 2016 – 58km auf den Spuren der “Tortour de Ruhr”“