“Waren wir hier nicht schon neun Mal?” – 50km in Rodgau

Ich kenne die 50km-Distanz ganz gut, ich weiß, was es heißt, fünf Stunden zu laufen. Das habe ich schon oft getan, doch spätestens nach meinem grippalen Infekt im November habe ich einen übergroßen Respekt vor der Distanz entwickelt, nicht zuletzt, weil mein als Wiedereinstieg in die Distanzsteigerung gedachter Trainingsmarathon zwar mal eben in den Kalender eingetragen, aber nicht mal eben zu laufen war. Da der WEHW 100 noch weit entfernt lag und ausreichend Platz für einen Neuaufbau mit dem Ziel blieb, den längsten Lauf auf 75km zu steigern, startete ich wieder bei 30 und endete zwei Wochen vor dem Rodgau-Wochenende mit einem ziemlich befriedigenden 47km-Lauf im Sechser-Schnitt. Da eine Regenerationswoche anstand, überschnitten sich das Rodgau-Wochenende und die 50km-Marke als meine nächste Distanzsteigerung, während sich bei Twitter das Personal für eine epische Prä-Ultra-Nudelkonferenz formierte. Blieb nur noch das Unbehagen, zehnmal um den gleichen Pott rennen zu müssen – sicherlich angesichts der Tatsache, dass sich schon auf meiner Heimatstrecke bei dem Gedanken an sich wiederholende Streckenabschnitte ein kleiner, verheulter und trotzig strampelnder Teil von meiner Persönlichkeit abspaltet und mit einem dicken, schartigen Ast auf meiner Motivation herumprügeln, kein besonders vorteilhafter Faktor.

Andererseits bot sich durch Rodgau eine Gelegenheit, meine für einige Wochen in Stuttgart weilende Freundin dazuzuholen und ein verlängertes Wochenende mit ihr zu verbringen. Die garantierte Anwesenheit von Schluppe, Thomas und Fredo aus dem Pott und einigen anderen, mir persönlich noch unbekannten Twitterbekanntschaften ließ mich dann alle noch verbleibenden Zweifel vergessen. Und einen 50km-Lauf als Teil einer 100km-Woche würde ich ja so oder so machen müssen. Läufste halt Rodgau, schön im Sechserschnitt, locker flockig durch.

Präludium: Wie ich mit einem Schnitzel und Schluppe mit einer Idee schwanger ging

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Am vergangenen Freitag, nachdem ich wegen eines kleinen Wehwechens am Hüftgelenk meine 50km-Wochenvorarbeit möglichst locker in Fit-Dateien umgewandelt hatte, schlug ich also samt Begleitung und reichlich Hunger im Restaurant “Kaminstube” auf, wo auch schnell der Rest der Bagage auftauchte. Es folgte ein freudiges Wiedersehen mit den angereisten Teilen der Twittrunner, und wir bestellten, was der Magen verlangte. Meiner wollte ein großes Schnitzel; während wir uns die Bäuche vollschlugen, brachte mich das Gespräch auf eine Idee für einen bekloppten und vermutlich sehr zermürbenden Ultralauf, mit dem Schluppes Fantasie eine halbe Stunde Pingpong spielte, bis er schließlich unvermittelt bekanntgab, sehr verliebt in diese Idee zu sein – was will man auch von jemandem erwarten, der seinen Longrun auch mal in Form von 148 Runden in seiner Einfahrt absolviert?

Vor dem Lauf: ein Frühstück und der Sprung ins eiskalte “Wasser”

Nach einem gerüttelt Maß an Schlaf wühlten wir uns am nächsten Morgen durch das Frühstücksbuffet des Hotels und ich absolvierte alle morgendlichen Pflichtübungen des gewissenhaften Läufers. Die Ernährungsfrage beschränkte sich angesichts des guten Frühstücks auf Flüssigkeitszufuhr; ich entschied zugunsten einer Handheld-Trinkflasche, da ich mit regelmäßiger Flüssigkeitszufuhr viel besser zurechtkomme.

Als wir schließlich mit allem Kram aus dem Hotel traten und das Auto beluden, meldete sich das quengelnde Etwas wieder, denn ich war am Freitag bei milden zehn Grad losgefahren und jetzt waren es -6. Scheußlich. Aber ich war viel zu fokussiert, um wirklich darauf einzugehen, und so fuhren wir die paar Kilometer zum Startbüro. Nach dem mir auf dem Rückweg vom Startbüro zum Auto fast die unbehandschuhte Hand abgefallen war, traf ich letzte Entscheidungen, brachte zwei Portionen Isozeug zum Nachfüllen in meinem Formbelt unter und wir begaben uns zum Startbereich, wo die Anderen bereits warteten. Wir blödelten noch ein wenig herum und teilten uns gegenseitig unsere Ziele mit. Ganz unverhofft verstrichen dann auch die letzten Minuten vor dem Start und die Horde Bekloppter trottete los. Ich hatte mich relativ weit hinten eingereiht und lief so schön langsam mit an.

Die ersten Kilometer: fiese Finger

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Es ging ein kleines Stück bergab, vorbei am Sanitärbereich des Rundkurses und noch ein Stückchen bergab bis zur Kehre in Richtung VP. Einige Meter davor stand der von Schluppe mitgebrachte Fan-Pavillon des Twitterlauftreffs, der allerdings noch kaum bevölkert war. Nach der Kurve am VP ging es links auf offenes Feld und in strahlenden Sonnenschein. Das Tempo war mehr als auszuhalten und ich ließ mich treiben, was dazu führte, dass ich bald schneller wurde. Ich hätte mich pudelwohl gefühlt, wenn nicht meine Fingerspitzen gerade versucht hätten, sich in Fischstäbchen zu verwandeln – tiefgefroren wohlgemerkt. Ich schloss meine Hände, so gut es ging, doch es dauerte fast vier Kilometer, bis ich so warm geworden war, dass auch die Kälte in meinen Fingern verschwand. Nach etwa anderthalb Kilometern knickte der Kurs um 90 Grad nach rechts ab und führte weiter über offenes Feld, das erst nach der Hälfte dieser Geraden in einen Wald überging. Daran schloss die kurze Wendeschleife an, die von lauter Musik beschallt, bei Kilometer drei wieder auf eine offene Gerade führte. Nach 400 Metern ging es wieder in ein kurviges Waldstück, über einen Hügel und von dort aus durchgehend mit leichtem Gefälle hinab bis in den Start-/Ziel-Bereich. Die erste Runde war also geschafft, aber weitere neun, ganze 45 Kilometer türmten sich wie ein Berg vor mir auf. Ich lief gut, aber es war ja auch noch nicht viel geschafft, zudem blieb meine Pace bei 5:45-50, das war mir zu schnell. Der Respekt vor dem Haufen an Kilometern und die Angst, am Ende zu leiden, ritten mich während der gesamten zweiten Runde. Immer wieder musste ich mich bremsen, besonders der Wendepunkt mit der Musik wirkte anstachelnd. Das Feld war noch recht dicht, so dass die unterschiedlich schnellen Läufer mich immer wieder aus meinem eigenen Rhythmus brachten.

Runde drei und vier: tob nicht so!

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Gegen Ende der zweiten Runde wurde mir bewusst: aus dem Wald in Richtung Ziel geht es mindestens einen Kilometer bergab. Hier eine 5:45  zu laufen, war also vollkommen okay. So langsam wurde ich warm und ab Kilometer zwölf war der für mich übliche Punkt überschritten, wo ich mich wohlzufülen beginne. Das Feld hatte sich deutlich aufgelockert und ich durchlief verschiedene Kleingruppen. Meine Kilometerzeiten lagen nun unter 5:45 und trotzdem ich mich andauernd zu bremsen bemühte, fielen sie weiter bis auf 5:30. Das war jetzt aber wirklich zu schnell, dachte ich mir am Ende der vierten Runde, hör auf, so zu toben! Ich war ein wenig verängstigt, zu viele Körner verbrannt zu haben und passierte den Twitterlauftreff-Pavillon, wo mir Schluppenchris mit Tröte und Ratsche ordentlich Beine machte und ein Lächeln zauberte.

Über die Hälfte mit Buzze

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Hinter dem VP sprach mich schließlich jemand von hinten an. Es war Buzze alias Sebastian, der mir schon an der Wendeschleife entgegengekommen war, mit dem ich aber bis dahin noch kein Wort in natura gewechselt hatte. Wir sprachen also über unsere Pläne und ließen das Tempo etwas schleifen. Sebastian war nicht sonderlich glücklich, seine Beine hatten keinen guten Tag und sein Kopf ließ ihn angesichts der Runden auch ein wenig im Stich. Ich versuchte, ihn ein wenig zu pushen und wir liefen gemeinsam über die 25km-Marke und somit weiter in Richtung Ziel. Die Beine zeigten mittlerweile auch die kaum bemerkbare Steigung auf den ersten Kilometern an und die Runden an sich wurden ein wenig anstrengender als am Anfang, doch ich fühlte mich ansonsten wohl und sprach im Gespräch laut aus, was ich auch fühlte: wenn Du so weit läufst, dann erwartest Du nicht, Dich gut zu fühlen!* Dennoch aber entschied Sebastian zu Beginn von Runde acht, dass er nach 40 Kilometern aussteigen wollte. Für ihn kam an diesem Tag einfach zu Vieles zusammen, so dass er auch meinen Überredungsversuchen widerstand. Ich hatte versucht, Schluppenchris für meine letzten zwei Runden zu gewinnen, doch Isabell (@Laufspatz) hatte schon vorher gefragt und so stellte ich mich darauf ein, alleine zu laufen. Vor der Wendeschleife liefen Sebastian und ich noch auf Jörn (@foxletics) auf, der ebenfalls keinen guten Tag hatte und nach 45km aussteigen musste. Bald danach liefen wir schon wieder Richtung Start/Ziel herunter und Sebastian verabschiedete sich von mir.

The lap made of despair

Nun war ich erstmal wieder allein, was mich ein wenig herunterzog. Ich tröstete mich mit der kalten Cola in meiner Flasche, die ich seit der sechsten Runde jedes Mal am VP wieder hatte auffüllen lassen. Ich litt ein wenig vor mich hin und merkte schließlich nach der Wendemarke, dass ich eigentlich keinen Grund dafür hatte, außer der Tatsache, dass ich zahlreiche 5:30er-Splits fabrizierte und wegen der Cola Pipi musste. Mit ein wenig gutem Zureden war also alles gut und beherrschbar. Die Pinkelpause verbat ich mir selbst kurzerhand, so kurz vor dem Ziel. Den Rest des Weges durch den Wald rechnete ich mir aus, dass Isabell eigentlich eine Runde vor mir gelegen haben und Schluppe somit für die letzte Runde wieder frei sein dürfte.

Die letzte Runde: Endspurt mit Schluppe

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Und so war es, denn selbiger wartete bereits mit großer Begeisterung auf mich. Ich bat ihn, meine Flasche schon einmal wieder füllen zu lassen und freute mich sehr, die letzte Runde mit ihm laufen zu können. So passierte ich noch einmal den Sanitärbereich, grüßte den ebenfalls angereisten Olli Witzke ein letztes Mal, der mich bei jeder Runde gegrüßt und angefeuert hatte und wurde am Pavillon von Chris und Fred erwartet, die mich beide begleiten wollten. Jetzt kam ich mir vor, wie ein Flugzeugträger mit Begleitkonvoi und wir pflügten in Richtung Wendepunkt los. Nach der Hälfte ließ Fred sich zurückfallen (vernünftig, denn er war nach seiner Verletzung schon seit Ewigkeiten nicht mehr so weit gelaufen, wie insgesamt an diesem Tag) und so blieben Chris, der mir meine Flasche trug, und ich übrig. Nach der Wendemarke sah ich auf die Uhr: wir liefen unter 5:15; ziemlich schnell, aber andererseits waren nur noch zwei Kilometer zu absolvieren und ich fühlte mich gut und hatte Bock, noch rauszuhauen, was übrig war. Ich ließ alle Zügel los und das Tempo stieg, selbst an der kleinen Steigung blieb ich, mittlerweile laut stöhnend, unter 4:45. Ich begann, Schluppe abzuhängen. Nach der Steigung ging es nur noch bergab und ich lief zwischenzeitlich unter 4:30 bis ins Ziel, wo mich meine Freundin und dann auch Schluppe in die Arme schlossen. Die nächsten Momente war ich vor allem mit Atmen beschäftigt und musste mich mit einem Hauch von Übelkeit eine Minute hinsetzen, bis mein Kreislauf wieder seine Balance gefunden hatte. Ich war glücklich über diesen Endspurt, meine gute Form und die Tatsache, dass ich ohne Not mit 4:48 gut zwölf Minuten schneller gelaufen war, als ich geplant hatte.

Rodgau war ein Gewinn!

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Was soll ich sagen? Für mich war Rodgau ein voller Erfolg. Ich habe mir zwar keine sonderlich ambitionierten Ziele gesetzt, aber dennoch war der Lauf für mich ein Meilenstein auf dem Weg zum WHEW: wie auch die Distanzsteigerungen zuvor, bin ich die 50km von Rodgau mit einem sehr großen Respekt, ja fast ein bisschen Angst angegangen, denn da war einerseits die Muffe, die einen angesichts einer großen Distanz überfällt, aber auch die zusätzliche Belastung der zehn immergleichen Runden; Gefühle, die ich im Spätsommer in dieser Form noch nicht hatte. Obwohl ich schneller gelaufen bin, als ich eigentlich wollte, habe ich am Ende nicht mit kilometerlangem Leiden dafür bezahlt, sondern konnte ganz im Gegenteil sogar noch einen amtlichen Endspurt hinlegen. Die letzten Trainingswochen haben sich also bezahlt gemacht; und auch mental war ich dem Kurs gewachsen, denn die Strecke schien mir ab der zweiten Hälfte sogar zusammenzuschrumpfen und in handliche Abschnitte zu zerfallen, die mir allesamt beherrschbar vorkamen. Die tollen Wetterbedingungen und die Tatsache, dass immer zur rechten Zeit jemand an meine Seite rutschte, der eine Weile mit mir lief und Gelegenheit für ein ablenkendes Gespräch bot, haben sicher das Ihrige dazu beigetragen.
Rodgau hat mir also gezeigt, dass ich die 50km auf meinem Level gemeistert habe. Ich war sogar in der Lage, die Distanz nicht nur in Minimalgeschwindigkeit durchzujuckeln, sondern durchaus mit ein klein wenig Druck zu laufen und dennoch am Ende ein paar Reserven übrig zu haben.
Läuft also bei mir, die Hälfte ham’wa schon mal.

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*Das ist eine abgedroschene Läuferweisheit, ich weiß, aber ich halte die Momente für wichtig, in denen man die Wahrheit derartiger Sprüche in sich selbst fühlt.

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