Marius, gib mir meine Lektionen zurück! – der Teutolauf 2017

Bereits seit Anfang September, nachdem ich bei Facebook auf diese Veranstaltung aufmerksam geworden war, hatte der Teutolauf in Form seiner Homepage sozusagen eine ständige Vertretung in meinem Browser eröffnet. Es schien mir ein wenig beknackt, am Rande eines Mittelgebirges zu wohnen und 120km durch das platte Land zu fahren, um an einem gerade einmal 29km langen Traillauf an einem noch flacheren Mittelgebirge teilzunehmen. Und wer mich kennt, weiß, dass ich auf beknackte Ideen stehe!

Auch, wenn der Anreiseaufwand mich zwischenzeitlich an dem Vorhaben hatte zweifeln lassen, überwog doch meine Verbindung zum Teutoburger Wald, in dem ich bereits einige in sehr positiver Erinnerung gebliebene Stunden mit Schluppenchris, meinem Partner in Crime, verbracht habe. Nach wie vor verstehe ich nicht, dass es noch keinen 100-Meilen-Lauf durch dieses fast 160km lange Mittelgebirge gibt. Ich meine kommt schon, das ist doch unlogisch!

Ich hätte mich durchaus auch alleine in dieses Abenteuer im fernen Lengerich gestürzt, doch wo die Begriffe “Teuto” und “beknackte Idee” zusammenfallen, darf ein Schluppenchris natürlich nicht fehlen! Ich erwähnte das Thema also eine Woche vor dem Lauf nebenbei in einer der Whatsapp-Videobotschaften, die wir uns von unseren Läufen gerne schicken und wartete ein wenig ab. Nach zweitägiger Inkubationszeit war die Saat aufgegangen und Schluppe meldete sich bei mir, ob ich immer noch an diesem Lauf im Teutoburger Wald teilnehmen wolle. Es wurden also Verabredungen getroffen, Zeitpläne geschmiedet und Ausrüstungskonsultationen eingeholt. Vorfreude baute sich auf. Tage verstrichen und es wurde Samstag.

Raceday

Nachdem ich viel zu spät losgefahren war, sammelte ich Chris viel zu spät auf und wir kamen reichlich knapp in dem 22000-Einwohner-Städtchen an, dessen Stadtteil Hohne schon von parkenden Autos und wild und hektisch hin- und herlaufenden Menschen in Laufkleidung dominiert wurde. Es ging zu, wie im Bienenstock. Ganz nahe an der Grundschule, die als Zentrum dieser hektischen Aktivitäten nicht nur durch diese, sondern auch durch die Ausschreibung des Laufs ausgewiesen wurde, hielt ich und hetzte Schluppe, den ich mit meinem Personalausweis und etwas Geld bewaffnete, auf die Leute im Nachmeldebüro. Es waren nur noch 25 Minuten bis zum Start. Schluppe mutierte unmittelbar selbst zur Biene und wuselte davon, während ich mich auf die Suche nach einem Parkplatz machte. Wie sich herausstellte, musste ich nicht viel leisten, außer der Parkplatzbeschilderung zu folgen; zwei große Wiesen nahe der Schule wurden bereitgehalten; hier konnten die Autos grasen, ein wenig toben und die frische Luft genießen, während die Menschen Quatsch machten – ein Schild versprach drei Minuten Fußweg zum Start. Perfekt! Schluppe fragte noch letzte Infos für die Anmeldung per Whatsapp ab, während ich das Auto auf der recht matschigen Wiese festmachte und ihn schließlich zu mir lotste. Schnatternd zogen wir uns an, brachten die Startnummern an uns an und trafen noch letzte, schlechte Kleidungs-Entscheidungen, bevor wir uns zum Start bewegten. Dort angekommen, stellten wir uns gaaaaanz hinten an; es blieben nicht mal fünf Minuten bis zum Startschuss. Eine Punktlandung!

Das erste Drittel

“Das sind ja gar nicht so viele Starter!” meinte Schluppe und ich schätzte, dass es tatsächlich nicht mal 200 Läufer sein konnten, die da vor uns standen. Als dann der Startschuss gefallen war, zeigte sich, dass offenbar nicht nur aus einer Richtung gestartet wurde, denn wir mussten zwei bis drei Minuten warten, bis die Menge sich überhaupt in Bewegung setzte. Es ging erstmal eine Weile über Asphalt; vor uns bildete sich eine schier endlose Kette von Läufern in den unterschiedlichsten Formen, Farben und Größen. Wir kämpften uns durch den Pulk, manchmal mehrere Meter getrennt und nur mit Blicken kommunizierend. Zunächst täuschte die Strecke nur an, dass wir den Asphalt hinter uns lassen würden, doch nach einem erneuten halben Kilometer Asphalt ging es endlich in den Wald. Es waren gerade zwei Kilometer geschafft und ich merkte bereits, dass die Regenjacke anzuziehen eine blöde Idee gewesen war. So zog ich sie schnell noch vor dem Anstieg in den Wald aus, faltete sie handlich zusammen und hielt das entstandene Paket in der Hand. Zweieinhalb Stunden lang. Naja, ich konnte ja nicht wissen, dass es fortan trocken bleiben würde, denn bei unserer Ankunft hatte es noch leicht geregnet.

Mit dem Untergrund wechselte auch die Bewegungsrichtung: es ging zwar weiter vorwärts (der Drang nach vorn ist dem Läufer bekanntlich immanent und sein ureigenstes Anliegen, es sei denn, am Wegesrand gibt es Schoki oder Kuchen) aber  nun auch langsam, aber stetig bergauf. Wir liefen in einem gemäßigten, aber konstanten Tempo (die Faustregel hierfür lautet: Du musst wenigstens schneller sein, als die Erosion) und überholten zahlreiche Läufer auf dem Weg nach oben. Jetzt, über ein letztes Stück Waldautobahn, liefen wir auf dem Grat des Lienener Bergs und folgten schließlich mal mehr, mal weniger engen und matschigen Trails entlang der Grenze zu Niedersachsen. Alle paar Kilometer kündigte ein Schild einen der hervorragenden Versorgungspunkte an, die mit Obst, Schoki und Müsliriegeln über ein ausreichendes Angebot an Essen und mit Cola und teilweise sogar Bier, aber auch Wasser und Isozeug über ein perfektes Getränkeangebot verfügten. Zusätzlich gab es für jeden obendrauf noch ein schmackhaftes und freundliches Lächeln gereicht. Neben dieser wundervollen Einrichtung gab es ein Heer an nicht weniger freundlichen Streckenposten, die den Verkehr aufhielten, an Abzweigungen den Weg wiesen und einen, da bin ich sicher, zur Not auch getragen hätten. Man kann es ihnen nicht genug danken, Wind und Wetter zu trotzen, nur um uns einen besseren Lauf zu ermöglichen!

Niedersachsen

Im Niedersächsischen Bad Iburg angekommen, mussten wir wieder eine kleine Weile mit der Straße vorlieb nehmen, bevor uns der Wald wieder einen Abhang hinauf und in sich hinein sog. 29km und 600 Höhenmeter im Ganzen sind natürlich nicht viel, aber nach meinem Dafürhalten waren die meisten Höhenmeter an den Aufstiegen auf die beiden Berge zu absolvieren; wenigstens wollte ich mich nicht über mangelnde Steigung beschweren und kam ganz ordentlich ins Schnaufen, auch wenn ich erfreulich weit kam, bis ich eine Gehpause einlegen musste. Nach dem Aufstieg auf den Heidhornberg ging es wieder hinab, durch das Tal zwischen den beiden Erhebungen und zurück auf den Lienener Berg. Auf dem Abstieg ließ ich mich ein wenig treiben und lief einen recht schnellen Kilometer. Nachdem wir auf der anderen Seite wieder anstiegen, fühlten sich meine Beine ein wenig nach Pudding an. Auch wenn ich Pudding eigentlich mag: das letzte Drittel auf Matschbeinen zu laufen schien mir nicht so erstrebenswert. Ich griff am nächsten VP ordentlich zu, trank fünf Becher Cola, aß auch etwas Schokolade und hoffte, dass das helfen würde.

Und es half: bis zum letzten Aufstieg fühlte ich mich wieder wesentlich besser. Moment, letzter Anstieg??? Während ich den Berg hochlief und -ging zweifelte ich und hätte gern auf die Stelle zurückgespult, um genauer hinzuhören. Als wir uns oben wiedertrafen, fragte ich Schluppe, ob der Mann das wirklich gesagt habe. “Ich habe auch gerüchteweise so etwas gehört!” bestätigte dieser, während dieser Typ in neongelb an uns vorbei lief. Er lief betont locker, was sehr affektiert wirkte und ich hatte ihn schon drei Mal wieder überholt. Er hatte mich jedes Mal so provozierend abfällig angesehen, während er an mir vorbeizogen war. Jetzt war er fünfzig Meter vor uns und ich schwor Schluppe darauf ein, dass wir ihn auch ein viertes Mal Überholen würden überholen müssen (dürfen können wollten). So lief ich meinem Kontrahenten hinterher, Schluppe im Schlepptau, der wohl auch mit weniger Tempo zufrieden gewesen wäre. Unser Abstand verkürzte sich, bis ich kurz vor dem VP bei Kilometer 24 dicht hinter ihm war. “Jetzt gilt es!” sagte ich Schluppe, schnappte mir nur eine schnelle Cola und lief weiter. Vor mir warf der Gelbe seinen halbvollen Becher aus einem halben Meter Entfernung am Mülleimer vorbei, was mich ohnehin jedes Mal rasend macht (echt Leute, was ist nicht in Ordnung mit Euch?). Er schien sehr erschöpft. Ich beschloss, ihn jetzt nicht mehr an mir vorbeizulassen und lief zügig an. Es ging fortan nur noch bergab und ich ließ meine inneren Pferdchen rennen, wie sie wollten. Ein gelegentlicher Blick nach hinten zeigte den Gelben mit Schluppe auf den Fersen, der Abstand vergrößerte sich. Ich wollte meinen Mitstreiter ungern im Regen stehen lassen, doch ich hatte zu viel Spaß an diesem schnellen Abstieg. Zudem: es regnete ja gar nicht!

Endspurt

Ich überholte zahllose Läufer und kam schließlich am Ende des Trails an; eine asphaltierte Straße übernahm dessen Job. Meine Uhr zeigte an, dass ich den letzten Kilometer in 4:09 gelaufen war. Vor mir waren jetzt eine Weile keine Läufer mehr und ich ging ein wenig vom Gas. Nach ein paar hundert Metern kam ich am Fuß des Berges an. Es konnten kaum noch zwei Kilometer sein. Ich versuchte, ein Tempo für die Ebene zu finden und pendelte mich zwischen 4:15 und 4:30 ein. Es war hart, das Tempo zu halten, aber die Tatsache, dass ich zahlreiche Läufer mit deutlichem Geschwindigkeitsüberschuss überholte, motivierte mich. An der ersten Kehre nach dem Wald hatte ich mich umgesehen und festgestellt, dass Schluppe zwar hinter mir zurückgeblieben war, aber lediglich einen halben Kilometer, wie ich schätzte. Großartige Leistung, wie er sich durchbiss!

Wir liefen jetzt am großen Parkplatz vorbei und bogen ab, um den sanften Hügel hinab zum Ziel zu laufen. Ich warf noch ein paar Schippen Kohle aufs Feuer und wetzte durch die Gassen. Nach der letzten Biegung kam das Ziel in Sicht, dicht bevölkert mit Zuschauern. Großer Jubel, letzte, laktatgeschwängerte Schritte, das bekannte Gepiepe der Zeitmessungsanlage und ein Tiger, der durch die Gruppen wartender Menschen direkt hinter dem Ziel sprengte, bis er zum Stehen kam. Großartig!

Finish, Grinsen – wir kommen wieder!

Einige Momente später sah ich Robert, den ich auch hier vermutet und durch puren Zufall tatsächlich unter den hunderten Läufern getroffen hatte. Wir quatschten eine Weile über den Lauf, bis schließlich ein deutlich spurtender Schluppe um die Ecke gerannt kam und heftig atmend im Zielbereich stehen blieb. Ich verabschiedete mich von Robert und gesellte mich zu meinem Mitstreiter, der tatsächlich nur zwei Minuten auf mich verloren und zudem den Gelben ebenfalls abgehängt hatte. Dieser kam einige Minuten nach Schluppe ins Ziel und scannte uns feindselig. Wir kasperten ein wenig herum und gingen – nicht, ohne den Umweg über den Bierausschank einzuschlagen, versteht sich – in Richtung Schulgebäude, wo ich meinen Leihchip gegen die Leihgebühr und ein Weizenglas mit Teutolauf-Aufdruck eintauschte. Schließlich ließen wir uns in unserer Begeisterung am Merchandising-Stand übertölpeln und kamen nicht umhin, ein Teutolauf-Shirt zu erstehen. Noch eine Cola für den Weg, und schon gingen wir gegen den Strom der noch einlaufenden Finisher in Richtung Parkplatz. Tatsächlich schafften wir es aus eigener Kraft von der Wiese und bemerkten bald, dass wir außer dem Präsent, dem Shirt und wunderbar dreckiger Beine noch ein weiteres Andenken mitgenommen hatten: ein fettes Grinsen, dass wir nun wortreich voreinander her trugen.

Was ein gelungenes Ding! Die Veranstaltung war trotz der beengten Verhältnisse im Start-Zielbereich, laufende Läufer, nicht mehr laufende Läufer und nach Hause fahrende Läufer teilweise in Gegenrichtung auf eine Strecke schickte, perfekt organisiert, mit vielen Zuschauern und Volksfest-Atmosphäre, tollen und allzeit freundlichen Helfern und einer tollen Strecke voller bunt gemischter und netter Läufer. Die Tatsache, dass wir uns 25 Minuten vor dem Start noch fix anmelden konnten, spricht für sich. Auch dass wir sehr weit hinten gestartet waren, war ein kleiner mentaler Vorteil, denn wir überholten bis zum Schluss unentwegt andere Läufer.

Wer also einen längeren Traillauf mit nicht allzu viel Steigung sucht: der Teutolauf ist die Anreise nach Lengerich allemal wert, zumal mit dem 20. Oktober der Termin für 2018 schon feststeht (und auch schon in meinen Kalender Eingang gefunden hat)!

2 Antworten auf „Marius, gib mir meine Lektionen zurück! – der Teutolauf 2017“

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