Trastesse Royale – Der RZR-Ultra am 6. August 2016

Man nehme: zwei Laufbekloppte, mindestens einer davon langstreckenbekloppt, einen gemeinsamen freien Tag an einem Augustwochenende, etwas zu viel verbrachte Zeit auf der Seite des Ruhrtalradwegs, lasse das Ganze ab Februar ein wenig ziehen – und fertig ist der gereifte Plan, die komplette Länge eines Rundradwanderweges abzulaufen – na, vielleicht noch einen Hauch mehr Beklopptheit. Irgendwo im Lager der Zukunft lagern all die zukünftigen Tage, die wir geplant oder nicht geplant haben und werden just zu dem Moment, den wir Gegenwart nennen, in die lange Reihe der vergangenen und kommenden Tage eingefügt; sei ein Tag auch noch so fern, er wird irgendwann kommen. Und gehen. Unwiderbringlich. Wir können uns nur daran erinnern und eventuell ein Denkmal für ihn aufrichten.

Jener Tag im August, der nun schon fast eine Woche in die Vergangenheit gerückt ist, schien mir im vergangenen Winter, als ich zum ersten Mal diese Strecke unter die Augen bekam und beschloss, sie irgendwann einmal zu laufen, noch so unendlich fern. Und – um ehrlich zu sein – er schien mir ferner, als er wirklich war. Nach Testläufen auf verschiedenen Segmenten der Strecke, meiner Teilnahme am Vorbereitungslauf für die Tortour de Ruhr und einem 80-Kilometer-Abschnitt dieses legendären Ultralaufs erschien es mir plötzlich machbar. Nicht mal spezielles Training war erforderlich, denn ich hatte die Langstrecke längst liebgewonnen und fühlte mich durchaus in der Lage, die Strecke wenigstens in gemütlichem Tempo “durchzujuckeln”. Da Basti bereits Interesse an einem Ultralauf bekundet hatte, lag nahe, die Strecke mit ihm anzugehen. Mit einem guten Freund zusammen vergehen selbst viele Stunden ja schließlich wie im Flug – und so ein Ultralauf zieht sich ja bekanntlich!

Am vergangenen Samstag trafen wir uns schließlich einigermaßen ausgeschlafen und sattgefrühstückt am Haus Kemnade und schnallten uns unsere mit Essen und Flüssigkeit vollgestopften Rucksäcke um. Das Wetter war mit rund 20 Grad und grauem Himmel perfekt, so dass wir mit recht wenig Flüssigkeitsverlust rechnen konnten. Unsere Ausrüstung war denkbar unterschiedlich: Basti startete mit einer Camelbak Marathoner Vest mit 1,5-Liter-Trinkblase, Schokolade und ein paar Packungen Cola-Shots, ich hatte etwas über zwei Liter Isogetränk auf vier Flaschen verteilt, die sich mit etwas Geld, zahlreichen Packungen Cola-Shots, Erdnüssen, einem Puten-Sandwich und meiner Regenjacke den Platz in meinem Hoka Evo-R teilten. Auf dem Weg befanden sich bei Kilometer 20 und 30 Supermärkte, außerdem etwa bei Kilometer 48 und 52 die Buden an der Kemnade. Die Versorgung war also ziemlich gut abgesichert, für Kilometer 30 war ein Halt fest eingeplant.

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Ich glaube, keiner von uns beiden war wirklich aufgeregt. Wir gingen mit Freude an den Start dieses gemeinsamen Vorhabens und liefen schließlich gemächlich los, der Kemnader Straße auf die nördliche Ruhrseite folgend, von wo aus wir auf den Ruhrtalradweg in Richtung Hattingen einschwenkten. Wir fanden bald in eine schöne 7er Pace und liefen so bequem bis nach Hattingen. In meinem Kopf lief zeitweise der Tortour-Film wieder ab und ich wies Basti immer wieder auf Stellen an der Strecke hin, die ich mit Erinnerungen an die Reise an Franks Seite verband. Unter der Köster Brücke kamen wir an einer sich gerade versammelnden Laufgruppe vorbei, die wir freundlich grüßten, während sie uns ansahen, als seien wir gerade vor ihren Augen aus unserem soeben gelandeten Ufo gestiegen. Vielleicht ließ unsere Ausrüstung und unser Tempo auf die epische Länge unseres Vorhabens schließen… Zwei oder drei Kilometer später überholte uns die Gruppe Läufer für Läufer (in unseren Augen) spurtend und kam uns nach einigen Minuten wieder entgegen, während wir weiter in unsere Richtung trabten. Unsere Stimmung war hervorragend, ja fast übermütig. Kurz vor dem Campingplatz an der Hattinger Ruhrbrücke musste ich wieder fürchterlich lachen, weil Basti aufgrund eines Schildes an seine Rückübersetzung des Sesamstraßen-Liedes erinnerte (“Der, die, das… wieso, weshalb, warum” – “The, the, the… “why, why, why”). Nach der Überquerung der Ruhr durchquerten wir die dahinterliegende Ruhrhalbinsel und stießen am Pegelhaus wieder auf den Leinpfad – vermutlich ein Unfall beim zusammenklicken des Tracks, war dieser Abschnitt eigentlich ganz schön, denn er führt teilweise über einen schönen Pfad durch die Ruhrauen. Wieder dem Flusslauf folgend, liefen wir eine zeitlang gemeinsam mit einer Gruppe der für diesen Ruhrabschnitt typischen Kanutouristen, nannten einen uns mit sechser Schnitt überholenden Läufer scherzend als Angeber, bevor wir die DLRG-Station kurz vorm Scheitelpunkt der nächsten Ruhrschleife erreichten.

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Hier bogen wir in östliche Richtung auf die Isenbergstraße ab, um auf den ersten Trassenabschnitt zu wechseln. Anderthalb Stunden und elf Kilometer waren wir unserem Fluss gefolgt, doch dieser Blick würde für viele Stunden der letzte bleiben. Nach etwa 1,5 Kilometern erreichten wir den Zugangspunkt zur RZR-Trasse; bereits wenige Minuten später, nach Durchquerung des Schulenberg-Tunnels, lag nur noch ein Marathon vor uns. Hier blieb die Streckenfindung weiter simpel: geradeaus, aber einer laaaaaangen wahlweise Links- oder Rechtskurve folgend, versanken wir in der Trasstesse. Basti hatte sein Vorhaben, viel zu trinken, sehr konsequent verfolgt, so dass wir am direkt neben der Strecke liegenden Rewe Halt machten. Ich füllte meine erste leere Flasche mit Cola auf und trank einen weiteren halben Liter Cola direkt; auch für ein paar Kalorien war es endgültig Zeit. Ab der wenig später überquerten Marathon-Marke begannen wir, regelmäßig kurze Videos über unseren Fortschritt zu filmen. Weniger später trafen wir eine Freundin und hielten für einen kleinen Plausch. Anschließend begaben wir uns wieder in die eine von zwei möglichen Richtungen, liefen am Scherenberg die kleine Schlaufe, nicht ohne einen kleinen Blick in Richtung des hier anschließenden bergischen Panoramaradwegs zu werfen, und folgten anschließend dem kleinen Schlenker, der den RZR-Radweg am Scherenberg für einige hundert Meter vom ursprünglichen Trassenverlauf abweichen lässt. Vor hier aus war es gar nicht mehr weit bis zu unserer geplanten großen Pause bei Kilometer 30. In Hasslinghausen ließen wir die Trasstesse für einige Minuten hinter uns, um wiederum einen Supermarkt zu besuchen und Flüßigkeit zu fassen. Oberhalb der Trasse suchten wir uns eine Bank, aßen und tranken, erholten uns einige Minuten, bis wir meinten, dass es Zeit sei, weiter zu laufen. Wir liefen hier weitere fünf Kilometer, bis uns die Kohlenbahntrasse schließlich auf der Esborner Straße wieder ausspuckte, wo wir uns enttäuscht zeigten, dass die dort gerade mit Geschwindigkeitskontrollen beschäftigten Polizeibeamten uns nicht Lasern konnten. Wir seien “zu langsam für eine Messung”, wurde uns augenzwinkernd gesagt – Frechheit!

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Bereits einige Minuten vor der großen Pause hatte sich mein Innenband am linken Fuß wieder gemeldet und war seitdem deutlich lauter geworden. Während der Steigungen und Geraden bis hinauf auf den Böllberg waren die Schmerzen kaum der Rede wert, aber die zwischenzeitlichen Gefälle und der Weg hinunter bis zum Wengeraner Ortskern war ziemlich fies, so dass ich die herrliche Aussicht nicht recht genießen konnte. Nachdem wir auf dem Trassenabschnitt zwischen Wengern und Bommern wieder ebenes Gelände unter den Füßen hatten, konnte ich das Problem durch Konzentration auf die Lauftechnik und ein höheres Tempo recht gut ausgleichen. Nach einer kleinen Gehpause an der Herbeder Straße kam ich auf die Idee, meine Schuhe deutlich enger zu schnüren, was den Schmerz wesentlich erträglicher machte. Wir hielten das “hohe” Tempo nun und bogen mit dem Erreichen des Kemnader Sees in die Zielgerade der letzten Kilometer ein. DAs Wetter war mittlerweile wesentlich besser geworden, weswegen es am See brechend voll war. An der Segelschule fand zudem “Tanz am See” statt, weswegen die Wege noch etwas voller waren, als ohnehin schon an so einem schönen frühen Abend. Nach einem “kurzen” Cola-Stopp am Segelhafen begaben wir uns auf die letzten vier Kilometer. Dieses “das-kann-uns-keiner-mehr-nehmen-Gefühl” ist immer wieder toll – dementsprechend euphorisiert liefen wir dem Ziel auf dem Parkplatz von Haus Kemnade entgegen. Die Beine waren leergelaufen, der Körper schmerzte ganz im Allgemeinen, doch wir waren glücklich. 56 Kilometer und eine wirklich tolle Erfahrung lagen hinter uns!

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