Ein Sonntag Mitte Juli. In der Vorbereitung auf den RZR-Ultra Ende des Monats habe ich bereits Wochen zuvor einen kleinen Trainingsplan aus dem Ärmel geschüttelt. 30er, Halbmarathons, aber auch wenigstens ein Lauf mit mindestens 40 Kilometern (Aufgrund meiner Bestrebungen, die Balance zwischen Berg- und Straßentraining zu halten, wird es wohl auch bei einem bleiben). Nachdem ich in der vorletzten Woche erfolgreich einen Doppeldecker mit zwei 30k-Läufen absolviert hatte, kroch nun also der Tagesanzeiger langsam, aber gnadenlos jenem besagten Sonntag mit dem lapidaren, aber durchaus etwas bedrohlichen Kalendereintrag “40k” entgegen. Wie so oft bei Entfernungen, die man nicht mal eben so läuft, drängte sich gegen Beginn der letzten Woche die Frage der Streckenwahl auf. Die Strecke um Harkort- und Hengsteysee lässt sich zwar für einen 30er noch gut nutzen, sobald aber die vier ins Spiel kommt, bleiben einzig Runden übrig – beim besten Willen nicht meins. Meine bisherige Standardrunde hat mich von Wetter aus um den Kemnader See und zurück geführt, was mich dazu zwang, entweder einen beträchtlichen der Strecke hin und zurück zu laufen (was einer Runde nicht ganz unähnlich ist, zudem der gedoppelte Streckenanteil einige Trassenkilometer beinhaltet), oder aber etwa acht Kilometer des Rückwegs auf dem nicht mal einen Meter breiten Randstreifen der B226 zu laufen – auch keine schöne Erfahrung.
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Eine andere Möglichkeit musste also her. Vor dem “Route erstellen”-Screen von Gpsies.com sitzend, fiel mein Blick auf den Verlauf des Flusses, der dieser Region ihren Namen verliehen hat – warum nicht mit dem Zug zu einem der Flussnahen S-Banhöfe fahren und von dort aus über den Ruhrtalradweg zurücklaufen? Ich machte einige geeignete Stellen aus und entschied mich schließlich für Essen-Steele-Ost, etwa 42 Laufkilometer vom Wetteraner Bahnhof entfernt. Eine Bahnroute für den Sonntag war auch schnell ausgekaspert. Ich war hochmotiviert. Auf diese Weise war es nicht nur irgendein harter Langstreckenlauf, sondern auch ein kleines Abenteuer, so weit von zu Hause entfernt aus einem Zug zu springen und rennend die Heimreise anzutreten, zudem ich Basti hatte überzeugen können, spätestens auf der Stadtgrenze zwischen Bochum und Hattingen, etwa bei Kilometer 19, zu mir zustoßen und für eine Weile mitzulaufen. Als Streckenabschnitt der Tortour de Ruhr war mir meine Laufroute – zwar in der Gegenrichtung, aber dennoch – wohlbekannt; ich freute mich, beim Laufen einige Erinnerungen an die Zeit mit Frank vor zwei Monaten zu wecken.
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Noch leicht besorgt, ob es warm genug sein würde, stand ich schließlich am Sonntag um kurz vor zehn am heimischen Bahnhof (zur Sicherheit hatte ich ein langes Thermoshirt eingepackt). Es war etwa 21 Grad warm; die Luft wirkte bereits um diese Zeit recht feucht. Da es aber nicht unbedingt trocken bleiben sollte, war ich nach wie vor nicht sicher, ob ich bei Regen nicht doch frieren würde. Das, so wurde später sehr schnell klar, war kein Problem, mit dem ich an diesem Tag konfrontiert werden würde… Die Bahn schaffte es auch noch, die halbstündige Fahrt zum Essener Hauptbahnhof so weit zu verzögern, dass mir der Anschlusszug vor der Nase wegfuhr – eigentlich hätte ich ja zehn Minuten Zeit gehabt… Vielleicht war ich aber auch nur tiefgefroren und deswegen nicht schnell genug, denn im Zug schien jemand die Klimaanlage auf “nächste Eiszeit bitte!” eingestellt zu haben. Zum Glück kam der nächste Zug bereits 20 Minuten später, so dass ich gegen elf endlich in Steele-Ost aus dem Zug sprang und keine Zeit verlor; irgendwie war ich froh, den Rückweg zu Fuß anzutreten.
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Nachdem ich die Ruhr am Bootshaus Ruhreck überquert hatte, folgte ich der ersten Ruhrschleife in Richtung Dahlhausen. Dieser Abschnitt ist ein wenig abgelegen, der Weg relativ eng, wie der Fluss selbst. Bereits hier fing es leicht zu nieseln an, doch hörte es ebenso schnell wieder auf. Zwanzig Minuten später fielen allerdings bereits die nächsten Tropfen, und eine dunkle Wolke machte deutlich, dass es vermutlich nicht dabei bleiben würde. Ich trotze dem stärker werdenden Regen noch bis etwa Kilometer sechs, doch dann wurde es so unangenehm, dass ich in die Regenjacke schlüpfte. Keine gute Idee, wie ich bald feststellen musste, denn durch den Regen war die bereits zuvor deutlich gesteigerte Luftfeuchtigkeit nicht eben besser geworden. Nachdem nach nicht einmal zehn Minuten der Regen deutlich weniger geworden war und an der Dahlhausener Schwimmbrücke bereits ganz aufgehört hatte, war ich in meiner Jacke nicht weniger nass geworden. So machte ich erneut halt und stopfte die Jacke wieder zurück in den Rucksack. Nun die lange S-förmige Doppelschleife bis Hattingen durchlaufend, war ich schon überzeugt, in der Nacht von Radfahrern und Kanuten zu träumen (was will man an einem Sonntag auf einem Radwanderweg auch erwarten?). Von beiden Gruppen wurde ich selbst mit großem Interesse gemustert, so das ich mir manchmal ein wenig wie ein besonders seltenes Insekt vorkam…
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Im Wodantal lief ich den selben alten Leinpfad-Abschnitt mit Kopfsteinpflaster, wie bei der Tortour mit Frank, ich konnte ihn fast wie damals vor mir herlaufen sehen! Als ich Hattingen erreichte und über die Brücke an der Bochumer Straße die Ruhrseite wechselte – es war mittlerweile Mittag – war es so schwül geworden, dass mir der Schweiß nur so den Rücken herunterlief. Der hintere Teil meiner Hose klebte mir bereits komplett durchnässt am Gluteus. Eine Tatsache, die mich immer ein bisschen weinerlich macht. Während auf dem gegenüberliegenden Ufer die Henrichshütte an mir vorbeizog, begegnete ich den ersten Pokemon-Go-Spielern, die ich bislang gesehen habe; sie passten definitiv in die Kategorie der Menschen, die das Spiel erstmalig von der Couch auf einen Spaziergang getrieben hat, was mich zu der Überzeugung brachte, dass beim Start der App ein kleines Tutorial für die Benutzung von Rad- und Gehwegen eingeblendet werden sollte. Während ich in die Rauendahlstraße einbog und mit Basti telefonierte, der mich unter der “Koster-Brücke” abpassen wollte, war die Kleidernässe bereits entlang meiner Hüftknochen nach vorn gewandert. Kurz vor dem Erreichen des Treffpunkts waren nur noch die äußeren Viertel meiner Oberschenkel trocken. Auch meine stabile sechser Pace hatte ein wenig unter der Waschküchenluft gelitten. Wenige Minuten später lief ein frischer und hochmotivierter Basti seinem sichtlich angegriffenen Laufpartner entgegen. Ich nutzte eine kurze Gehpause zum Nachfüllen der Flaschen, berichtete kurz und tropfend vom bisherigen Verlauf und trieb mich wieder in einen gemäßigten Laufschritt. Schwatzend machten wir uns an den schönen Abschnitt bis zum Kemnader See, den wir – nun unter gelegentlich mitleidigen Blicken vieler entgegenkommender Spaziergänger – auf der Bochumer Seite umrundeten. Vereinzelt kam die Sonne heraus, zudem stand die Luft hier und war wirklich zum schneiden, so dass ich an meinen Tiefpunkt kam – wie ich fand, nach bereits 27km zu früh; das Wetter und die Tatsache, dass ich in den letzten Monaten fast nur bis 30km gelaufen war, schienen mir aber Erklärung genug. Bis zur Schleuse am Fähranleger lief ich nur noch auf die zwanzig Minuten zuvor besprochene Pause hin weiter. Eine von einer gleißend hellen Gloriole umstrahlte, eiskalte Cola erschien bildfüllend vor meinem geistigen Auge. Die Bestellungen dieser beiden klatschnassen Läufer (“Eine Currywurst und ein Malzbier bitte” – “Ich nehme ein alkoholfreies Weizen und zwei Cola!”) irritierten den Mann im Bootshaus deutlich. Kurz darauf ergoss sich ein weiterer, ergiebiger Schauer über das Ruhrtal, so dass wir uns mit in das kleine Zelt drängten und die zehn Regenminuten pausierten. Ich war froh, dass Basti, der zuletzt ein paar Fußprobleme gehabt hatte, gut klarkam und mich bis ins Ziel begleiten wollte.
Mit colagefüllter Trinkflasche und leicht erholt machten wir uns schließlich auf den Weg entlang der Herbeder Straße und bogen an der Zeche Nachtigall auf die Trassenstrecke nach Wengern ein. Ich trieb mich an, den Laufschritt zu halten, die nächste Gehpause am Aufstieg vom Fluß- auf das Straßenniveau kurz vor dem Wengeraner Ortseingang vor Augen. Nachdem wir wieder auf den Radweg eingebogen waren, begann das fiese letzte Stück. Die letzten vier Kilometer ziehen sich immer wie Kaugummi, nach jeder Kurve erwartet man, die neue Ruhrbrücke am Ortseingang von Alt-Wetter zu sehen und wird enttäuscht. Doch selbst dieser Abschnitt endet irgendwann und ich gönnte mir auf der langen Rampe bis auf die Brücke eine letzte Gehpause. Basti hatte begonnen, bekannte Lieder an die Situation anzupassen und anzusingen, darunter Titel wie “You’re just a private runner, running for money, dadadadaaa, dadadaaa”, oder “Who wants to run forever?”, verbunden mit der Ankündigung “je länger wir noch brauchen, desto länger werde ich noch singen!”
Oben abgekommen, liefen wir den letzten Kilometer bis zum Kreisverkehr unterhalb des Café Bonheur (ein großartiges Café übrigens, das man unbedingt mal besucht haben sollte, wenn es einen in die Gegend verschlägt!). Basti konnte endlich mit dem Singen und ich mit dem Laufen aufhören. Done. Ich fuhr Basti – nicht ohne eine weitere Flasche Cola, die wir an der nächsten Tankstelle besorgten – nach Hause und duschte, endlich daheim angekommen, solange, bis meine Fingerspitzen schrumpelig geworden waren. Nach einer kurzen Pause auf der Couch trafen wir uns am Abend beim Italiener wieder, wo wir uns reichlich und wohlverdient stärkten und das Wochenende ausklingen ließen.
Obgleich der Lauf wirklich anstrengend war – es ist gemein, wenn man als ohnehin stark schwitzender Mensch durch hohe Luftfeuchtigkeit noch weniger gekühlt wird – hat er richtig Spaß gemacht! Ich bin um ein Vielfaches angefixt, lange Strecken zu laufen und freue mich auf den RZR-Ultra, den Basti und ich in zwei Wochen angehen wollen. Zuvor startet aber am kommenden Sonntag noch mein Four-Cities-Gruppenlauf über meine liebsten Trails – viel zu tun also. Ich kann nur jedem empfehlen, sich von den immegleichen und gewohnten Laufstrecken zu lösen und hin und wieder ein kleines Abenteuer anzugehen, das kann sehr motivierend sein!