Ich habe schon sehr oft davon gesprochen und geschrieben, wie wichtig ich es finde, eine Sache mit Leidenschaft zu betreiben. Zu wie viel mehr als reiner Bewegung das Laufen werden kann, wenn wir es zu einem Teil unserer selbst machen, weil wir es so sehr lieben. Wenn Menschen mit dieser Einstellung eine Laufveranstaltung auf die Beine stellen, dann kann dabei nur etwas Gutes herauskommen.
Das Ruhrgebiet wird ja bekanntermaßen unterschätzt. Wenigstens präsentiert es sich nach wie vor als die Region, die bekanntermaßen unterschätzt wird. Zum Beispiel in Sachen Begrünung. Aber schon Frank Goosens Oppa wußte ja: “Dat gibbet woanders auch!” Bekannt ist die Großregion mit Bergbauhintergrund auch für seine flache Beschaffenheit.
So manche Gemeinde im Norden des Potts hat die Halden mit dem Grubenaushub aus Jahrhunderten und Jahrzehnten Bergbautätigkeiten als Ersatzgebirge erschlossen, was rege von allen möglichen Freizeitsportlern und Weitblickliebhabern genutzt wird. Von hier kann man dann auch wieder sehen, wie grün das Ruhrgebiet doch ist und so schließt sich der Kreis.
Doch das ist wie so oft nur die halbe Wahrheit, denn direkt an der Ruhr bei Essen erheben sich entlang des Nordufers des Baldeneysees die Ruhrhöhen. Südlich des Flusses schließt sich das Bergisch-Sauerländische Unterland an und bietet weiteres Auf und Ab sowie einen wundervollen Ausblick auf eben erwähnte Steilhänge und den See. Zugegeben, dieses Setting ist alles Andere, als alpin, aber es drängt sich förmlich auf, an dieser Stelle einen Ultratrail zu veranstalten – das Einzugsgebiet bringt ja mehr als genug Bekloppte auf, die das Angebot mit Begeisterung annehmen. Spätestens, seitdem die Stadt Essen einen Wanderweg mit dem klingenden Namen “Baldeneysteig” ausgelobt hat, kann man an jedem schönen Wochenendtag zahllose Essener auf den bis dahin völlig ausgestorbenen Wegen des Essener Südens beobachten – eigentlich ein Treppenwitz, dass erst eine einfache Marketingmaßnahme die Menschen auf ein derartiges Kleinod in der eigenen Gegend aufmerksam gemacht hat.
Aber zurück zum Ultratrail: wir Ultraläufer müssen uns an die eigene Nase fassen, denn auch wir haben erst mit dem Baldeneysteig dieses Laufgebiet abseits des Radweges um den See für uns entdeckt, anders ist es eigentlich nicht zu erklären, dass es so lange gedauert hat, bis jemand hier eine Laufveranstaltung organisieren würde, denn genau wie der Baldeneysteig war der Ultra eigentlich schon immer da, man musste ihn eben nur noch veranstalten. Umso mehr Glück hatten wir, dass ausgerechnet Kati und Marina, beide hochsympathische und leidenschaftliche Ultraläuferinnen aus der Gegend, sich der Sache angenommen und mit viel Liebe eine Veranstaltung auf die Beine gestellt haben, die sich mit vielen professionellen Auftaktveranstaltungen durchaus messen kann. Mit einer kleinen, motivierten Schar von frostresistenten Helfern, tonnenweise Gebäck und Getränken an zwei VP’en, professionellen Startnummern, Starterbeuteln und einer gut markierten Strecke, die es wirklich in sich hatte, war wirklich an alles gedacht. Ein Ausmaß an Perfektion für ein erstes Mal, die ich so gar nicht erwartet hatte, als ich am Sonntagmorgen auf den Parkplatz des Parkhaus Schellenberg fuhr.
Ich muss zugeben, dass ich, nachdem ich angesichts des Anblicks der -1-Grad-Anzeige auf dem heimischen Thermometer eine Millisekunde den Impuls verspürte, einfach wieder ins Bett zu gehen. Das wäre sicher gewesen, was ein vernünftiger Mensch getan hätte. Zum Glück gehöre ich nicht zu dieser bedauernswerten Gruppe langweiliger Individuen und so legte ich die bereitgelegte Ausrüstung an, redete mir gut zu, dass das mit den Trailshorts sich sehr bald nach dem Start als richtig erweisen würde und machte mich auf den Weg.
Nachdem ich die Scheiben meines Autos von ihrem Eispanzer befreit hatte, fuhr ich los und hoffte, die fünf Minuten, in denen die Heizung noch nicht warm ist, mögen möglichst schnell vergehen. Danach war ich ganz froh, noch weitere 40 Minuten in der Wärme meines Autos zubringen zu dürfen.
Pre-Race: Startnummernausgabe und Countdown
Als ich etwa eine halbe Stunde vor dem Start auf den Parkplatz vor dem Jagdhaus Schellenberg fuhr, waren die 26-Kilometer-Läufer bereits startbereit und der Parkplatz gut gefüllt. Ich schnappte mir meine Sachen, zog aber zwecks Wärmeerhalt noch nichts aus. Am VP-Pavillon wurde ich freudig begrüßt und bekam gegen die Startgebühr meine Startnummer ausgehändigt, alles namentlich festgehalten und vororganisiert, wie man es von vereinsmäßig organisierten Läufen kennt. Großartig, das hatte ich gar nicht erwartet!
Kaum war ich registriert, hieß es auch schon, die 26-km-Läufer nach einem kurzen Briefing auf die Strecke zu schicken. Unter den Startern waren viele liebe Gesichter, darunter Matt, Michael und Saskia und leider auch der Erdnussbutter-Daniel, der schweren Herzens downgraden musste, weil er nach einer Erkältung noch nicht wieder volle Kanne gehen wollte. Schade.
Nach dem ersten Start zog ich mich um und deponierte den Beutel mit meinen Sachen am Start. Echt eine tolle Sache, dass das so möglich war! Nur einige Minuten später hieß es dann auch für uns: Start frei!
Vom Start bis zum ersten VP – mit Überraschung!
Wir zählten runter und rannten los. Irgendwie ließ ich mich direkt mit in die Führungsgruppe ziehen und lief unter den ersten sechs Läufern. Tim sprach mich an und erzählte, er sei ein Hörer meines Podcasts. So kamen wir ins Gespräch und ließen die Spitzengruppe ein wenig vorlaufen.
Nach ein wenig Auf und Ab hatten wir die erste Hauptstraße überquert und liefen in den Kruppwald, die Villa Hügel umrundend. Wir durchqueren den Wald komplett, bis wir die Baldeneyer Straße erreichten. Von hier aus liefen wir in einem Bogen um das Wildgatter Heissiwald und kehrten nach einem steilen Abstieg unterhalb des Restaurants Purzelbaum und der Villa Vue einige hundert Meter weiter unten wieder zur Hauptstraße zurück. Jetzt war es nicht mehr weit zum Wehr des Baldeneysees, auf den wir im Abstieg einen wundervollen Blick hatten. Auf der anderen Seite des Wehrs würde der erste VP auf uns warten, nachdem wir die ersten 11 Kilometer der Runde hinter uns gebracht hatten. Wir überquerten das Wehr und als der VP am Fuße der Treppe in Sicht kam, staunte ich nicht schlecht, denn Schluppes Firmenwagen stand dort neben dem BASU-Pavillon! Ich war erfreut, konnte Schluppe aber nicht ausmachen. Schokolade essend hielt ich Ausschau und sah ihn die Straße aus Richtung Werden hochlaufen. Wir winkten uns schon aus der Ferne zu und fielen uns in die Arme – ich freute mich besonders auf diese gute Nachricht für den Kopf in Runde zwei! Wir wechselten noch ein paar Worte und ich lief nach kurzer Zeit mit Tim weiter.
Von VP1 bis zur alten Eisenbahnbrücke – wieder bergauf!
Die Strecke blieb hier für keine 500 Meter flach, denn schon bald bog sie in den Aufstieg in Richtung “Upper Werden” ab. Wegen des Feiertags und überhaupt liefen wir um den Friedhof herum und erklommen die Ebene in Fischlaken. Hier, zwischen den Feldern, war es schon angenehm warm und die Aussicht auf die Ruhrhöhen und den See wunderbar!
Zum Glück kannte Tim den Weg gut, so dass ich mir keine großen Sorgen um die Navigation machen musste. Besonders hier oben kannte ich die Strecke nur noch so ungefähr und auch die sonst sehr gute Zusatzmarkierung mit Sprühkreide war hier etwas dünner gesät. Wir beschrieben einen Bogen, der uns direkt auf den See führte und stiegen an der westlichen Flanke des Hespertals hinab zum Haus Scheppen. Der weitere Weg führte uns parallel zum See und an der Hespertalbahn-Strecke entlang, bis wir den großen Abhang hinab mussten, der uns im Vorjahr vor so große Schwierigkeiten gestellt hatte.
Zum Glück gab es in diesem Jahr einen neuen Pfad, der in Serpentinen nach unten führte und eine etwas einfacheren Abstieg bot. Unten angekommen, nahmen wir den Weg, der vom Ufer wegführte. Hier bog der Steig hinter einem Zaun in den Hang ein; diese Stelle musste man schon kennen, so versteckt, wie sie lag. Dahinter öffnete sich ein richtig schöner, aber recht steil ansteigender Singletrail – wir einigten uns darauf, einfach zu gehen…
Oben angekommen, wurschtelten wir uns noch einmal durch den Wald, bis wir über den Park am Frauenstein hinab zum Seebogen liefen und schließlich wieder den Fuß auf den Ruhrtalradweg setzten.
Von der Brücke zum Etappenziel – erst flach, dann fluch
Jetzt ging es etwa vier Kilometer lang flach am See entlang. Während Tim großen Respekt vor diesem flachen Abschnitt hatte, besonders mit Blick auf Runde zwei, kam er mir natürlich am meisten entgegen. Ich blickte schon finster in Richtung Korteklippe, den Fucking Hill des Baldeneysteigs. Eben jene teilweise geradezu lächerlich steile Steigung krochen wir förmlich hinauf, bis wir die Straße erreichten. Netterweise bot uns der Steig wenigstens ein paar hundert flache Meter, um heldenhaft ins Ziel zu spurten und zwang uns nicht, in Sichtweite der Anderen schwer atmend den Hügel hinaufgekrochen zu kommen.
Wir wurden jubelnd empfangen, mit Durchgangszeiten registriert und erfuhren, dass wir auf dem fünften Platz waren. Wir füllten die Flaschen auf, während wir Tims Freund Christian in unserer Mitte begrüßten, der angereist war, um Tim durch die zweite Runde zu begleiten.
Nur noch ein paar Kilometer zu dritt – Start bis VP1
Fröhlich schnatternd liefen wir wieder los – immer wieder aber während dieser ersten elf Kilometer der zweiten Runde fiel Tim hinter uns zurück. Ich bemühte mich, Christoph, der ja nun mal für ihn da war und nicht für mich, nicht allzu weit von ihm abzuziehen, doch mir dämmerte, dass wir bald unsere eigenen Paces anschlagen mussten. So ließ ich im Abstieg zum Wehr einfach rollen. Als ich um die Ecke bog, sah ich den Vierten vor mir die Treppe zum Wehr hinaufsteigen. Kurz vor dem VP überholte ich ihn. Dort angekommen, nahm ich ein kurzes Take mit Schluppe auf, er füllte meine Flasche und begleitete mich noch bis zum Anstieg. Wir verabschiedeten uns herzlich und ich lief auf Position vier in Richtung Fischlaken. Ich erhöhte das Tempo ein wenig und lief an den kleineren Steigungen noch weiter, so lange es ging. Ein bisschen hatte ich nun schon Lust, wenigstens die vier nach Hause zu laufen. Die Navigation war größtenteils problemlos, denn oben in der Ebene waren mittlerweile sehr viele Spaziergänger auf dem Steig unterwegs und dienten mir als lebendige Wegmarken, und auch sonst kam ich gut durch. Hier oben lief ich eine ganze Weile, ohne zu gehen – die Beine waren schon recht erschöpft, unten auf dem flachen Stück würde so viel Tempo nicht mehr gehen.
Ich konzentrierte mich auf konsistentes Laufen und – wo das nicht ging – auf eben solches Gehen, was mir ganz gut gelang. Ich durchlief die Schleife an der Hammer Straße – hier verfranste ich mich ein einziges Mal und musste die Karte zu Rate ziehen – der Umweg betrug aber kaum 100 Meter. Bis zum Frauenstein lief ich noch normal weiter und an seinem Fuß kramte ich, meinem zuvor gehegten Plan folgend, mein Headset heraus, um während der restlichen Strecke Musik zu hören.
Von der Brücke bis ins Ziel – isses noch weit?
Nun war es also flach. Die Musik half, die Müdigkeit in den Beinen etwas zu verdrängen und so schaffte ich es, bis zur Korteklippe in etwa eine Fünfer-Pace zu halten. Anstrengend war, dass der recht schmale Weg am Nordufer mittlerweile voller Menschen war, die es zu umlaufen galt. Zudem musste ich sehr auf die Strecke achten, denn durch die nette Unterhaltung mit Tim während der ersten Runde kamen mir bereits seit Fischlaken einige Streckenabschnitte so fremd vor, dass ich dachte, ich sei nicht mehr auf dem richtigen Weg. So ging es mir auch jetzt. Doch ich war stets richtig, lediglich war meine Erinnerung getrübt; erschwerend kam auch noch die Erschöpfung hinzu, die die Strecke in meinem Kopf noch zusätzlich dehnte. Irgendwann war aber die Abbiegung in Richtung Korteklippe erreicht und ich keuchte hinauf. Wie überflüssig, dass es nach dem höchsten Punkt unterhalb der Klippe erst wieder ein wenig bergab ging, bevor der breite Weg dann wieder zur Beisinger Straße anstieg. Ich ging noch ein Stück und konsultierte meine Playlist. Ich fand “Narcotic” von Liquido. Sobald der Song losging rannte ich den Rest der Rampe zur Straße hinauf und ging in den Endspurt ins Ziel über. Ich überquerte die weiße Linie aus Sprühkreide nach 5:39 Stunden mit einer durchschnittlichen Pace von 6:35 Min/km. Das war sehr zufriedenstellend!
Im Anschluss zog ich schnell etwas Trockenes an, quatschte mit den Leuten im Ziel und wartete noch auf Schluppe. In der Zwischenzeit hatte ich endlich etwas Muße, mich durch das Kuchenbuffet zu fressen. Mein alter Laufkumpan kam schließlich angefahren und wir blödelten noch eine Weile herum, bevor wir uns verabschiedeten und ich die Heimfahrt antrat. Es galt schließlich, noch etwa eine Woche zu duschen und sehr viel Pizza zu bestellen!
Wirklich ein tolles Ding!
Der erste BaSU war wirklich eine gelungene Veranstaltung mit sehr viel Potenzial für die Zukunft! Es gab nicht viel zu beanstanden. Kati und Marina sind quasi in der Pflicht, im nächsten Jahr die Fortsetzung auf die Beine zu stellen, und die Ultraläufer in Nah und Fern, sich hier mal blicken zu lassen – wir freuen uns darauf!
Toll geschriebener Bericht von einem so liebevoll organisisierten Lauf. Respekt zu den Leistungen aller Teilnehmer!
Danke Carsten, und vielen Dank für die tollen Fotos, die Du mit ebenso viel Liebe gemacht hast 🙂