To vanquish, das kommt aus dem Englischen und heißt “besiegen, siegen über, bezwingen”. Ein natürlich durchaus ansprechender Name für einen Sportartikel und durchaus in der Warenwelt gebräuchlich. Andere Dinge mit dieser Bezeichnung sind zum Einen der Aston Martin Vanquish, ein scharfes Fortbewegungsmittel mit Verbrennungsmotor, das gleich eine ganze Herde hochtalentierter Pferde unter seiner Haube komprimiert (deswegen steht auf einigen Mercedes’ auch “Kompressor”, einige andere Besitzer von Angeberautos können sich diesen Kompressor nicht leisten – das sind dann die, die zusätzlichen Pferde in diesen auffälligen Anhängern hinter sich herziehen); das zweite derart benannte Produkt ist ein Third-Person-Shooter. Der Wikipedia-Eintrag zu diesem Spiel lässt vernehmen: “Der Spieler schlüpft in die Rolle des mit einem ARS-Kampfanzug ausgestatteten DARPA-Agenten Sam Gideon. Durch diesen Anzug erhält der Spieler die Möglichkeit die Spielzeit zu verlangsamen (Bullet-Time), sowie sich selbst zu beschleunigen, was dem Spieler schnelle Angriffe und schnellen Rückzug ermöglicht.”
Vor dem oben geworfenen Blick in die Verwendungspraxis dieser Bezeichnung, soviel kann ich zum Vanquish 2 bereits vorwegnehmen, braucht sich auch dieser neue Polsterschluppe des französischen Maximalschuhherstellers nicht zu verstecken, denn behält man im Hinterkopf, dass wir es hier mitnichten mit einem Rennschuh ohne großes Zubehör zu tun haben, kann man sagen, dass dieser Schuh durchaus zwar seinem Benutzer nicht die Möglichkeit eröffnet, das Raum-Zeit-Kontinuum in irgendeiner Form zu verzerren, sehr sicher jedoch beim allseits so beliebt gewordenen “Ballern” dass Seinige zur Freude seines Benutzers beizutragen. Dennoch aber sehe ich die Stärken des Schuhs eher darin, die beschleunigte Langstrecke zu bezwingen, als den schnellen, kurzen Spurt (dem Ultraläufer auch als “Gar-nicht-so-richtig-Loslaufen” bekannt).
Eine Altranative?
Ich selbst war eigentlich vor einigen Wochen mit dem festen Vorsatz zum Dealer gegangen, mal einen Altra auszuprobieren, wegen der Sprengung und auch, weil mein Clayton zwar ein super Schuh ist, aber mit 700km langsam mal in ein Übergangsstadium gebracht werden sollte. Da eine weitere Verringerung der Sprengung auf Null eine gewisse Umgewöhnungszeit erwarten ließ und der Clayton zudem nach wie vor – aushaltbar, aber dennoch merklich – an meinen Innenfüßen kaut, wollte ich damit bereits bei diesem Kilometerstand beginnen. Vor Ort in Wattenscheid wurde mir schließlich ein aktuelles Modell des Paradigm gereicht, das zwar recht bequem daherkam, aber nicht überragend erschien. Ein So-Lala-Experiment verbot sich in meinen Augen angesichts eines Preises von 170 Euro.
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So schlüpfte ich also, wo ich doch grad da war, auch noch in den Clifton und den Vanquish 2, den der Dealer ebenfalls aus dem Lager hervorgeholt hatte. Während der Clifton im Stand noch ein wenig angenehmer – weil insgesamt sehr weich – zu sein schien, offenbarte sich bei einer kurzen Laufprobe dann aber überraschenderweise, dass der Vanquish mit seiner ausgefeilten Dämpfungstechnik wesentlich angenehmer zu laufen war. Angenehmer zu laufen, aber dennoch mit sehr viel Rückmeldung vom Untergrund. Zudem stellte sich schon beim Hineinschlüpfen dieses berühmte “Aha-Gefühl” ein, das mich endgültig von diesem Schuh überzeugte.
Erster Eindruck
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Die zweite Version des Vanquish zeigt eine deutliche Evolution des Äußeren: während die Einkerbungen, die beim ersten Modell nur in der hinteren Hälfte der Außensohle zu sehen waren, nach vorn weitergewachsen sind, macht der Schuh insgesamt einen deutlich schlankeren und ansprechenderen Eindruck; das liegt vor allem am genutzten Obermaterial und der Tatsache, dass durch die ausgefeilte Dämpfungstechnologie die Außensohle längst nicht so ausgreifend über die Breite des Oberschuhs hinausgewachsen ist, wie etwa beim Clifton 3. Zudem stellt die Mittelsohle fast schon eine Panzerung dar, die für eine Menge Stabilität sorgt.
Dünn, leicht und besser, als beim Clayton: das Obermaterial
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Während der Vanquish 2 bei weitem nicht so kompromisslos auf Gewicht zu verzichten versucht, wie der Clayton, werden auch hier alle Möglichkeiten genutzt: das Obermaterial besteht aus einem dichten, aber ziemlich dünnen Gewebe, das durch ein aufgedrucktes Wabenmuster verstärkt wird. Während die Waben von der Fußspitze aus eher filligran gehalten sind, werden sie zur Ferse hin immer dominierender. Das Gleiche gilt für die allgemeine Stärke des Obermaterials, denn dessen Vorderteil ist lediglich an der Fußspitze durch eine Kappe verstärkt, die den einen oder anderen Fehltritt abfangen hilft, während die Ferse ab dem vorderen Ende der Einstiegsöffnung sowohl zunehmend gepolstert, als auch stark verkapselst und damit sehr stabil ist; auch die Zunge ist stark gepolstert. Insgesamt zeigt sich schon hier, dass der Schuh darauf ausgelegt ist, die Füße für viele Stunden komfortabel zu beherbergen. Dabei ist das Obermaterial zwar ähnlich leicht, wie das des Clayton, scheint aber wesentlich flexibler und haltbarer, so dass die Oberfläche wohl noch länger durchhalten dürfte.
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O-Sohle-mio: Stabilität, Dämpfung, Komfort
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Was der Vanquish 2 in Sachen Stabilität bietet, zeigt die Mittelsohle, die durch das abgesetzte Design sehr gut sichtbar wird: der dominierende, blaue Anteil umläuft den gesamten Schuh. Hier wird die Hoka-Philosophie, den Fuß nicht AUF, sondern IN die Mittelsohle zu stellen, nach meinen bisherigen Erfahrungen auf die Spitze getrieben. Es bietet eine flexible, aber extrem stabile Bettung des Fußes. An der Ferse ist sie zudem mit gelben, deutlich härteren Kunststoff-Elementen weiter verstärkt. Das Fußbett bietet einen angenehmen und festen Sitz.
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Geradezu verzahnt in die Mittelsohle sitzt darunter die weiße und weiche Außensohle, mit Hoka-typisch vorn und hinten durch Hartkunststoff verstärkten Abnutzungsstellen. Die Trittfläche bietet den bei Hoka üblichen breiten Fußabdruck; insgesamt mutet die Trittfläche recht weich an, doch ich kann sagen, dass meinen Erfahrungen mit der sehr ähnlichen Sohle des Clayton zufolge nicht mit vorzeitigem Verschleiß in diesem Bereich zu rechnen ist. Die Sohlenkonstruktion bietet – und auch hier finden wir eine Gemeinsamkeit mit dem Clayton – eine zweiteilige Dämpfung, die Schritte über die Ferse gewohnt weich auffängt, aber ab dem Mittelfußbereich deutlich fester und somit dynamischer arbeitet. Ich habe diese Kombination bereits beim Clayton lieben gelernt, und während der Vanquish 2 dennoch ein wenig gemächlicher daherkommt, verfügt er in dieser Hinsicht dennoch über ähnlich angenehme Laufeigenschaften.
Fazit
Insgesamt ist der Vanquish 2 in meinen Augen ein durchaus gelungener Mittel- bis Langstreckenschuh. Ich muss sagen, dass mir der Clayton noch einen Hauch mehr Spaß macht, aber er sorgt auch nach 720 Kilometern noch für Reibung am Inneren meiner Füße, die nach einer Weile durchaus schmerzhafte Stellen zurücklässt. Wer also mit dem Clayton ähnliches Theater hatte, aber den Schuh ansonsten gut gefunden hat, sollte hier mal einen Blick riskieren. Auch aufgrund seiner wesentlich stabileren Konstruktion, besonders in Richtung Ferse, bietet der Vanquish 2 eine Menge Komfort – eine Tatsache, die nach fünf, sechs, erst recht nach zwölf Stunden durchaus kriegsentscheidend sein kann. Ich habe bereits mehr als 200 Kilometer in allen von mir gelaufenen Distanzbereichen (10, 21, 30, >40km) mit ihm absolviert und kann sagen: der Schuh macht wirklich Spaß und ist – obwohl er die Dynamik des Clayton nicht herankommt, dennoch eine gute Wahl, besonders, wenn die Langstrecke den Trainingsplan dominiert. Wenn er auch kein Rennschuh für die Kurzstrecke ist, macht auch Geschwindigkeit Spaß: immerhin habe ich eine meine Bestzeit im Halbmarathon mit diesem Schuh bezwungen. Gevanquished, sozusagen.
Eine Antwort auf „Hoka One One Vanquish 2“