Weiter als Du denkst – das Jahr 2018

Voll die Seuche!


Jahresrückblicke, diese Seuche aus der Hexenküche, aus der auch Markus Lanz einst gekrochen kam! Als Läufer kann man an die Scheißigkeit von “Leute 2018” anknüpfen, indem man lang und breit auf irgendwelchen Zahlen herumreitet und jeden einzelnen Murks wieder auspackt, um ihn ein zweites Mal durchzukauen.
Sicher, auch ich bin nicht immun gegen die Geschichten, die einem im Laufe eines Jahres zustoßen. Gewiss ist es auch gut, am Ende eines Laufs, einer Woche, eines Monats, eines Jahres, oder wann auch immer irgendein willkürlich festgelegter und nachträglich legitimierter Zeitraum vorbei ist, Resümee zu ziehen. Ich finde es nur wichtig, dass das Ganze nicht in einer Selbstzerfleischungs- oder Selbstbespiegelungsschau endet. Ein Blick zurück sollte uns helfen, den Läufer und Menschen, der wir sind, widerzuspiegeln – mehr noch: uns eine Richtung vorzugeben, die uns näher an den Läufer und Menschen heranzuführen, der wir sein wollen, besser zu werden, was auch immer das für uns bedeutet. Was habe ich richtig gemacht? Was habe ich falsch gemacht? Was hat mich zum Weinen gebracht in diesem Jahr, im Guten wie im Schlechten? Beide Seiten der Medaille gehören dazu. Wenn Du nie gefallen bist, kannst Du Dich nicht daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, wieder aufzustehen und weiterzumachen, wie es irgendwann wieder besser geworden ist und die neu gewonnene Stärke Dich größer gemacht hat. Was also habe ich als Läufer und als Mensch im Jahr 2018 lernen könne, dürfen und müssen?

Wer nicht ohne kann: die nackten Zahlen

Die nackten Zahlen

Wer es sich immer gefragt hat: ganz genau, ich bin kein Dax-Unternehmen, also muss ich keinen Rechenschaftsbericht abgeben. Wer dennoch auf die Zahlen schauen will, kann sie der Tabelle entnehmen. Damit es wenigstens ein bisschen Spaß gemacht hat, habe ich meine Laufbemühung in die wichtigsten Einheiten umgerechnet: Käsebrot und Streuseltaler…

Run all the runs, feel all the feelings, eat all the food!

Wenn es auch läuferisch nicht so ganz perfekt war, habe ich allen Grund, auf 2018 stolz zu sein. Wachsen geschieht, das weiß kaum jemand besser, als Ultraläufer, nicht ohne Schmerzen und Verzicht. Und so musste ich in diesem Jahr im Interesse einer beruflichen Weiterentwicklung einige Lücken im Laufkalender hinnehmen. Ich habe besonders im zweiten Halbjahr sehr hart daran gearbeitet, am Ende ein entscheidendes Finish hingelegt und mir eine lange erträumte Stelle ergattert, die ich im Januar antreten werde. Dennoch fand ich auch in dieser sehr arbeitsreichen Phase den Weg zurück zu konsistentem Laufen. Die relativ vielen dreistelligen Ultras und das heiße Wetter im Sommer forderten mir Einiges an Geduld ab. Erst im Spätherbst und Winter habe ich deswegen auf den schnelleren Distanzen wieder an mein Prä-Tortour-Tempo anknüpfen können. Mit dem entzündeten Grützbeutel in meiner Schulter, der einen verhältnismäßig “großen” Eingriff erforderlich gemacht hat, habe ich dann Ende November aber meine Tempopläne für Rodgau begraben müssen: no running in December! – eine Art Sabbatical-Marcothon. Obwohl der Dezember im Sinne von 50km-Tempotraining wichtig für meine Ultra-Strategie für 2019 gewesen wäre, habe ich überraschend stoisch reagiert. Vermutlich, weil meine Persönlichkeit nicht nur Auswirkungen auf mein Ultralaufen gehabt hat; im Gegenzug habe ich begonnen, auf viele Dinge im Leben mit den Augen des Ultraläufers zu blicken: es wird Dir auf dem Weg manchmal schlecht gehen, aber das geht vorüber:

Und jede Nacht wachst du auf, denn die altbekannten Artverwandten
Geister deiner Seele warten auf neue Befehle
Und du spürst plötzlich deine Macht über sie und lachst über sie
Weil du zu dir kommst
Wenn du fühlst wie du hier alles lenkst kommst du weiter
Weiter als du denkst
 
Die Fantastischen 4: Weiter als Du denkst

Es war ja auch nicht alles schlecht, was der Dezember gebracht hat, denn die Zwangspause hat mich aus dem Trott herausgebracht, mir wieder Sehnsucht auf die Ultra-Herausforderungen der nächsten Monate gemacht, Hunger darauf, hart für die dreistelligen Distanzen zu trainieren, die ich mir vorgenommen habe.
Ich bin insgesamt nur zwei Ultradistanzen weniger gelaufen, obwohl ich einen kompletten Monat verloren habe. Der große Unterschied zum letzten Jahr ist, dass ich wesentlich mehr Wettkämpfe absolviert habe. Das hat, wie schon erwähnt ein wenig mehr Erholungszeit erfordert und einige Lücken gerissen, aber ich habe gelernt, etwas geduldiger zu sein.
Auch, wenn die langen Kanten im Training dadurch in der Quantität gesunken sind, so haben einige gemeinsame Touren mit lieben Menschen aus der Gegend die Qualität nochmal ordentlich nach oben geschraubt. Das Jahr 2018 hat mein Selbstvertrauen und meine Demut gestärkt und ich habe eine Menge gelernt!

Die Ultras

Rodgau

Das Jahr startete wie üblich in Rodgau (Podcast): neben einer amüsanten Tour mit Schluppe lief ich eine entspannte 4:10:18 und traf viele liebe Bekloppte wieder. Ein gelungener Auftakt!

WHEW 100

Ich fand es selbst ein bisschen bekloppt und die wenigsten eine gute Idee, doch ich wollte den WHEW als letzten Trainingslauf angehen. Die Wärme der zweiten Hälfte ließen mich dann ziemlich leiden – besonders im Anstieg ab Hattingen hatte ich ziemlich mit mir selbst zu kämpfen, bis es dann auf den letzten Kilometern wieder richtig rund lief. Unterm Strich konnte ich mit den sieben gewonnen Minuten zufrieden sein, zumal ich mich angesichts der nahen Tortour nicht total hatte verausgaben wollen.

Tortour de Ruhr 160

Es gibt nicht nur Quality-Time, sondern auch Quality-People!

Der Höhepunkt des Jahres lag noch im Frühling: zwei Jahre lang hatte ich auf die Tortour de Ruhr (Podcast) hintrainiert, recht früh entschieden, dass ich die 100 Meilen laufen würde. Am Ende der heißen Vorbereitungsphase in den letzten Monaten vor dem Lauf hatte ich eine sehr große Crew von feinen Menschen um mich versammelt, die mir nun fast wichtiger geworden war, als der reine Lauf. Jeder von ihnen hat sich aufgeopfert um meinen Kopf von allem zu befreien, was nicht direkt mit dem nächsten Schritt in Richtung Rheinorange zu tun hatte. Mein Stolz, durch diese lange Prüfung gekommen zu sein und in meinem Kopf einen oder zwei sehr dunkle Orte durchquert zu haben, ist untrennbar mit meinem Stolz auf diese Leute verbunden, und zwar auf zweierlei Art: einerseits bin ich auf die Leistung jedes Einzelnen stolz, andererseits, darauf, dass ich eine derartig tolle Gruppe von Leuten um mich habe versammeln können!

Die letzten elf Kilometer zum Rheinorange waren die härtesten, die ich je in meinem Leben gelaufen bin; und trotz meiner Erleichterung, dass es geschafft war, stand für mich – noch auf der Wiese unter der großen Stele liegend – fest, dass ich 2020 wiederkommen würde.

Kölnpfad 110

Nach einer Wettkampf-Pause von einigen Wochen – ich habe nach meinem ersten Hundertmeiler etwa zwei Wochen gebraucht, bis ich wirklich wieder auf der Höhe war – stand Anfang Juli wieder ein Teamlauf mit Schluppe an: der Kölnpfad 110 (Podcast) sollte sein erster dreistelliger Lauf werden. Bei 30 Grad und einigen brutalen, schattenlosen Abschnitten mussten wir zwischendurch ein wenig beißen. In dieser Hinsicht war dieser Lauf eine Lektion in Sachen Durchhaltewillen, denn während ich bei Kilometer 18 nicht sicher war, ob ich Kilometer 60 noch erleben würde, hatte sich die Situation etwas vor der Marathonmarke total gedreht und die Müdigkeit war verschwunden. Die letzten Kilometer waren dennoch die Härte, denn nach langer Zeit auf den Beinen wollten alle heim zu Mutti!

Mauerweglauf 91/70

In Berlin war ich eher durch Zufall mit von der Partie, denn Sven hatte seinen Staffelpartner einbüßen müssen. 70 Kilometer beim Mauerweglauf (Podcast) zu laufen schien mir immer irgendwie zu gehen und so kamen Caro und ich in den Genuss, einen kleinen Kurztrip in die Hauptstadt machen zu können. Der Lauf war ziemlich toll, wenn es auch ein wenig komisch ist, dass wir in einer der Metropolen Europas kein Fahrrad ergattern konnten, das für eine siebenstündige Tour wirklich geeignet ist. Dennoch: ich war angefixt…

Herbstwaldlauf

Ach, der Herbstwaldlauf! Ein tolles Ding, das einen richtig fertigmachen kann! Die erste Runde lief ziemlich gut und ich habe mich ein wenig mitreißen lassen, was ich auf den letzten zehn Kilometern stark bereute. Ab Kilometer 45 wollte ich nur noch heim und der Endspurt war eine Nahtoderfahrung. Mein Körper zeigte mir in den 30 Minuten nach dem Lauf deutlich beleidigt den Stinkefinger. Trotz der Qualen habe ich meine Bestzeit um etwa eine Minute verbessern können, obwohl ich in Rodgau sicher noch etwas fitter war.

Teutolauf

Wie immer ein No-Brainer für mich, dieser Teutolauf (ich weiß, kein Ultra, aber dieses Finisherfoto ist definitiv eines der Highlights dieses Jahres). Einfach rennen, bis man da ist, wunderbares Ding!

Baldeneysteig

Der Baldeneysteig (Podcast) hat es mir ordentlich gegeben. Spätestens wurde mir bewusst, wie wenig Trailanteil mein Laufen seit der Tortour hatte. Eine tolle Veranstaltung von tollen Leuten, ich hoffe, die Sache wächst weiter und kann sich etablieren!

Gurken vom Feinsten

Neben den großen und kleinen Veranstaltungen habe ich zahlreiche Trainingsultras hinter mich gebracht – neben mehreren RZR- und Ruhgebiets-Trassenläufen habe ich die Gelegenheit gehabt, in Gesellschaft einiger lieber Menschen zu laufen:

Arnsberg – Schwerte (58km)

Schon eine Kante: zwischen unseren Fingern verläuft jene berühmte 100-Meilen-Strecke, die ich mir 2016 zum großen Ziel gemacht hatte.

Gemeinsam mit Jens und Thomas lief ich Mitte März von Arnsberg nach Schwerte. Eine unterhaltsame Tour mit den beiden, auf der ich nebenbei noch den letzten unbekannten Abschnitt der Tortour de Ruhr 160 erkunden konnte!

Münster – Bielefeld (84km)

Die Kernmannschaft des Laufs Münster – Bielefeld, bestehend aus Jan, Matthias und mir, lief morgens in Münster los – Schluppe begleitete uns ein paar Kilometer bis an den Stadtrand. Unterwegs fluktuierte die Gruppengröße, denn einige andere Läufer schlossen sich uns für eine Weile an. Mit dem letzten Tageslicht endete unsere epische Reise in Bielefeld – ein toller Tag!

RZR-Tour mit Basti (57km)

Nachdem ich eine Woche zuvor auf einem gemeinsamen 40-Kilometer-Lauf mit noch Tortour-geschundenem Körper in der Sonne zerschmolzen war, war ich bei unserem Lauf auf der RZR-Tour wieder fit und kam sehr gut mit den rund 30 Grad klar. Basti nicht so, weswegen er nach 50 Kilometern aufgab. Eine tolle Leistung für seine zweite Ultradistanz!

Trassentour mit Mee und Andi (74km)

Es war toll, einen derartig langen Lauf mit der Aussicht auf eine Laufbegleitung zwischen Kilometer 45 und 65 angehen zu können. Mit Mee und Andi war die Strecke zwischen Essen und Hattingen dann auch erwartungsgemäß kurzweilig – am Ende kam dann noch ein Text dabei heraus, in dem ich versuche, einen Einblick in das Innere eines Ultraläufers zu vermitteln.

Weiter als Du denkst

Prüfungen und Erfüllungen

2018 war ein Jahr der Prüfungen und der Erfüllungen und dadurch auch ein Jahr des Wachsens und der Erkenntnisse. Ich kann sehr stolz auf den Tiger sein, zu dem mich dieses Jahr gemacht hat. Eine Crew großartiger Menschen hat sich an Pfingsten um mich geschart und mich bis aufs Blut unterstützt, mich bemuttert, mir bis zur Erschöpfung beigestanden und mich nach Strich und Faden belogen, wo es sein musste. Wenn Leute so etwas für Dich tun, sagt das vor allem etwas über sie aus; es bedeutet aber auch, das Du selbst nicht ganz verkehrt sein musst. Das ehrt mich zutiefst. Überhaupt hat für mich der Aspekt der Menschlichkeit das Laufjahr 2018 auf verschiedenste Weise geprägt: neben meiner Tortour-Crew denke ich an diesen bekloppten Typen aus dem Münsterland, an den mit dem Einfahrt-Marathon. Wie viel wir zusammen gelitten und gelacht haben, teilweise auch gleichzeitig, wie oft wir uns gegenseitig auf den Beinen gehalten haben, geht auf keine Kuhhaut! Und danke für das Eis in Wahn, lieber Schluppe 😉 Ich danke auch der Whatsapp-Lästergruppe, wir sind vermutlich manchmal echt schwer zu ertragen, aber wir haben sehr viel Spaß gehabt, neue Projekte angeschoben und unbemerkt so manches Social-Media-Haar gekrümmt. Ihr wisst, was ich meine 😉
Ein Mensch ragt noch auf besondere Weise heraus: meine Freundin Caro. Wie auch im restlichen Leben hast Du 2018 immer an meiner Seite gestanden, hast meine Beklopptheiten unterstützt und warst für hunderte Kilometer die beste Fahrradbegleitung, die man sich nur wünschen kann. Ich bin froh, dass wir diese Stunden teilen können <3
Ich danke auch all den anderen netten Läufern, die ich 2018 schon kennen oder kennenlernen durfte. Ihr wart eine große Bereicherung!

Was bleibt

2018 habe ich mich also sehr oft aufgemacht, um zum andere Ende des schwarzen Regenbogens zu gelangen. Der schwarze Regenbogen ist nicht nur das Leid während des Laufs selbst, nicht nur der Stolz, der sich einstellt, weil man die Kraft gefunden hat, dieses Leid zu überwinden. Er ist auch die Demut, die aus der Furcht und Gewissheit vor dem sich unweigerlich einstellenden Schmerz geboren wird.
Manches Mal war ich in meiner Paincave, jenem dunklen Ort, habe gezweifelt und gehadert, aber am Ende immer einen Weg zurück ins Licht gefunden. Dabei hat sich zu einer Überzeugung verfestigt, was ich zuvor schon immer gefühlt hatte: Ultras läuft man nicht nur mit den Beinen, sondern auch mit dem Kopf und dem Herzen. Wenn man dunkle Zeiten überstehen will, muss man alles in die Waagschale werfen, was man hat. Es zählt die Persönlichkeit, ein Thema, mit dem ich mich auch 2019 weiter auseinanderzusetzen beabsichtige. Wer sich dem Ultralaufen ganz hingibt, kann diese Momente erleben, die einen hinter den Schmerz gelangen lassen – und er trägt etwas in sich, dass auch jenseits der Laufstrecke große Kraft verspricht: einen neuen Blick. Das Leben und seine Höhen und Tiefen sind auch nichts anderes, als ein Ultralauf. Und Ultralaufen kannst Du ja schon.

Un’ nu?

Die Laufpause hat mich umso wilder auf das gemacht, was 2019 auf mich wartet. Das Jahreshighlight führt mich Mitte August zurück nach Berlin. Im neuen Jahr will ich die vollen hundert Meilen angehen. Ich freue mich sehr auf diesen Lauf und den Weg, den ich in den nächsten acht Monaten beschreiten werde!

Ich habe Vieles geschafft, aber so Vieles liegt noch vor mir; ich habe ja noch nicht einmal richtig angefangen.

2 Antworten auf „Weiter als Du denkst – das Jahr 2018“

  1. Viel Wahres und vermutlich nur für Läufer Nachvollziehbares treffend formuliert und auf den Punkt gebracht… ich könnt mich mal wieder bepudern, bepinseln, bepreisen oder bepissen, je nachdem, was die Texterkennung so zulässt.
    Mach weiter so, auf den Radwegen, Leinpfaden und Trassen des Ruhrgebiets und auf deinem Blog und im Podcast.
    Zumindest ich hab jede Menge Spaß damit…. und vermutlich auch noch zwei, drei andere Erdenbürger mehr.
    In diesem Sinne: ein verletzungsfreies, erfolgreiches Laufjahr 2019 und einen guten Start im neuen Job.

    1. Danke, Alex!
      Ich freue mich immer, wenn jemandem gefällt, was ich so verzapfe, das gibt mir nochmal einen kleinen Schubs.
      Ich denke, das Jahr 2019 wird sehr spannend, auch eine Herausforderung, weil ich mein Training etwas kompakter angehen muss – der Schichtdienst ließ zwar im Grund nicht mehr Zeit für’s Training, aber die Freiräume, die da waren, waren wesentlich größer. Ich bin gespannt, wie ich unter den neuen Umständen bei der Sache bleibe.

      Ich wünsche Dir auch einen guten Start ins neue Jahr und dass alle Wünsche in Erfüllung gehen mögen!

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